Kreis Viersen Eine Liebe über Mauern hinweg
Thomas sitzt wegen eines bewaffneten Raubüberfalls. Im Gefängnis hat er Hochzeit gefeiert.
Anrath. Geheiratet hat Thomas Sch. (Name von der Redaktion geändert) vor einem Jahr. „Eine alte Jugendliebe“, erzählt der 44-Jährige und lächelt versonnen. Die Feier verlief schlicht: Der Bräutigam trug ein weißes Hemd und eine ordentliche Jeans. Sieben Personen waren zur Zeremonie zugelassen — einschließlich des Brautpaares und des Standesbeamten. Nach dem offiziellen Teil gab’s den zuvor im Einkauf bestellten Kaffee und Kuchen — nach zwei Stunden war alles vorbei. Braut und Gäste mussten wieder gehen. „Eine Hochzeit stellt man sich normalerweise romantischer vor“, sagt Thomas. Doch normal war dieser angeblich doch „schönste Tag im Leben“ für ihn und seine Braut ganz und gar nicht. Denn Thomas Sch. ist Häftling in der Justizvollzugsanstalt in Anrath.
Bewaffneter Raubüberfall — sechs Jahre muss der vorbestrafte 44-Jährige deswegen sitzen. Vier davon hat er im schlimmsten Fall noch vor sich. Das ist schwer für ihn — und für seine Frau. Denn Zeit für Zärtlichkeit gibt es hinter Gittern kaum.
„Ja, ich durfte die Braut küssen“, bestätigt Thomas. Doch mehr ist nicht drin: Alle Besuche seiner Frau finden unter Aufsicht statt. Erst wenn sich der 44-Jährige im Knast bewährt hat, wenn er die Finger von den Drogen lässt, sich kein Handy besorgt und nicht gewalttätig wird, werden die Haftbedingungen nach sechs Monaten Schritt für Schritt gelockert.
Die WZ trifft den Häftling und die Sozialarbeiterin Stefanie Lison in einem Sonderbesuchsraum. Ein Tisch mit mehreren Stühlen, Couch, Kinderspielzeug — in dieser Umgebung finden auch Familientreffen statt. Die Tür ist aus Glas, ab und an geht ein Vollzugsbeamter vorbei, schaut kurz herein.
Hier sitzen zu dürfen, ist schon ein Privileg, zeigt schon an, dass Thomas auf dem richtigen Weg ist: Normale Besuche finden in einem benachbarten Raum statt, in dem mehrere Gefangene und ihre Gäste sich an Tischen gegenüber sitzen — unter den aufmerksamen Blicken des Wachpersonals. Für härtere Fälle gibt es sogar Besuchszimmer, in denen man durch eine Scheibe voneinander getrennt wird: Körperkontakt völlig ausgeschlossen.
Thomas Sch. dagegen könnte demnächst die Erlaubnis für Langzeitbesuche bekommen. In dem entsprechenden Appartement könnten er und sein Besuch sich drei Stunden völlig unbeobachtet bewegen. Es gibt dort eine Küchenzeile für gemeinsames Kochen, ein Bad, eine Sitzecke. Sogar Sex wäre möglich — wenn beide Partner das denn unter den besonderen Bedingungen wollten.
Soweit ist Thomas noch lange nicht. „Darf ich meiner Frau einen Blumenstrauß zur Hochzeit bestellen?“, fragt er die Sozialarbeiterin. Freie Entscheidungen dürfen die Häftlinge nicht treffen, in der JVA ist alles geregelt, gibt es für alles eine Vorschrift.
Telefonieren darf man zum Beispiel nur bis zu zwei Stunden im Monat. Jedes Telefonat muss vorher angemeldet werden, maximal fünf Gesprächspartner sind möglich. Ein Vollzugsbeamter kann jederzeit mithören — der kriminelle Missbrauch solcher Gespräche soll unterbunden werden.
Einander Liebesbriefe schreiben dürfen Thomas Sch. und seine Frau unbegrenzt — doch auch diese darf das Personal kontrollieren. Dass andere Menschen die privaten Worte zwischen ihm und seiner Frau lesen dürfen, bereitet Thomas ein bisschen Bauchschmerzen. Doch er akzeptiert die strikten Regeln. Weiß er doch, dass das Hineinschmuggeln von Drogen und Handys oder gar die Absprache irgendwelcher krimineller Geschäfte über die Mauern der Anstalt hinweg nur so einzudämmen sind.
Aus dem gleichen Grund ist der Körperkontakt zwischen Häftlingen und Besuchern am Anfang nicht möglich. Zweimal im Monat ist Besuch erlaubt für jeweils eineinhalb Stunden. Kinderbesuche können später dazu kommen, sie finden in Anrath jeden zweiten Mittwoch im Monat statt.
Eigene Kinder hat Thomas Sch. nicht — doch für die drei schulpflichtigen Kinder seiner Frau empfinde er wie ein Vater. Seine Zelle hat er nicht wie viele seiner Mitgefangenen mit Pin-up-Girls, sondern mit Fotos von Frau und Kindern dekoriert. „Der Familienbesuch ist in Bearbeitung“, informiert ihn Stefanie Lison.
„Die wenigsten hier haben eine intakte Beziehung“, berichtet der 44-Jährige weiter. Vor seiner Frau könne er nur den Hut ziehen: „Sie wusste von meinen Inhaftierungen, von meinen langjährigen Drogenproblemen.“ Trotzdem habe sie vor zwei Jahren wieder den Kontakt zu ihm über Facebook gesucht, trotzdem habe sie einer Heirat zugestimmt, obwohl er schon im Knast saß. „Sie zeigt dadurch ihre bedingungslose Liebe.“
Das Gefühl, draußen einen solchen Halt zu haben, verschafft ihm neue Perspektiven für die Zeit nach der Haft. In der JVA tut Thomas das seine dazu, um sich zu bewähren: Ein Anti-Gewalt-Training gehört dazu, ebenso eine begleitete Tat-Aufarbeitung.
Viel Arbeit will und muss er aber auch in die Pflege der Beziehung investieren — über Mauern und Gitter hinweg. Thomas: „Meine Frau ist draußen allein mit den alltäglichen Problemen um Schule, Beruf und Kinder. Ich bin hier allein.“ Und ein Ehemann im Knast sei nun mal keine große Hilfe.