Experte bezeugt genug Bremszeit
Am vierten Prozesstag um die bei einem Unfall auf der A 61 getötete Polizistin sagten Gutachter gegen den Lkw-Fahrer aus. Der Sattelzug habe keine Mängel aufgewiesen.
Viersen/Mönchengladbach. Als er gefragt wird, ob er die Fotos der Unfallstelle vorne am Richterpult auch noch mal sehen wolle, zuckt der Angeklagte mit den Schultern. Er bleibt sitzen. Während sich die Richter, Anwälte, ein Gutachter und ein Sachverständiger über die mehr als 100 Aufnahmen vom Abend des 27. Dezember 2017 beugen, blickt der 49-Jährige auf der Anklagebank in eine andere Richtung.
So unbeteiligt, wie der Lkw-Fahrer im Prozess vor dem Landgericht Mönchengladbach wirke, sei er nicht, sagt später an diesem vierten Prozesstag der Psychologe Martin Albrecht, der als Gutachter geladen ist. Der 49 Lastwagenfahrer hatte nach Weihnachten einen Unfall auf der Autobahn 61 kurz hinter der Auffahrt Viersen verschuldet, bei dem eine 23 Jahre alte Polizistin getötet wurde. Zwei ihrer Kollegen wurden schwer verletzt. Bei den Gesprächen mit dem Gutachter habe der Angeklagte viel geweint. „Er leidet sehr darunter“, sagt Albrecht. „Er weiß, dass er etwas Schlimmes getan hat, das nicht wieder gut zu machen ist.“
Am Freitag wurde zunächst ein Sachverständiger gehört, der im Auftrag der Autobahnpolizei mehrfach die Unfallstelle besucht und sowohl den Lastwagen als auch das Polizeiauto untersucht hat. Dabei habe er an dem Sattelzug keine Mängel festgestellt, die „zu einer plötzlichen Veränderung des Fahrverhaltens“ des Angeklagten geführt haben könnten. Die Lenkung sei in Ordnung, die Bremsscheiben seien „sauber, trocken und blank“ und die Reifen in einem guten Zustand gewesen. Die Profiltiefe habe mehr als die geforderten sechs Millimeter betragen.
Der Einsatzwagen der Polizei habe am Unfallabend mit laufendem Motor auf dem Seitenstreifen gestanden, das habe das Auslesen des Fehlerspeichers des BMW 3er ergeben, sagt der Sachverständige. Durch den Aufprall des Lkw von hinten sei er auf rund 45 Kilometer pro Stunde beschleunigt worden und gegen die rechte Leitplanke geprallt. Die junge Polizistin, die links auf der Rückbank saß, sei nach dem Aufprall sofort tot gewesen, sagt ein Rechtsmediziner. Die Mutter und der Freund der Getöteten haben vor seiner Aussage den Saal verlassen.
Anhand des Fahrtenschreibers in dem Lkw habe der Sachverständige ermitteln können, dass der Fahrer zuletzt auf 82 Kilometer pro Stunde beschleunigt hatte — jedoch kurz vor dem Aufprall stark gebremst hatte. Allerdings: „Er ist weiter geradeaus gefahren beziehungsweise hat eher leicht nach rechts gelenkt.“ Der Angeklagte hätte das Polizeiauto, das mit eingeschaltetem Blaulicht auf dem Standstreifen wartete, aus mindestens 150 Metern Entfernung sehen müssen, meint der Sachverständige: „Es lag genug Zeit vor, das Fahrzeug mit Abstand zum Stehen zu bringen.“
Der Rechtsmediziner untersuchte auch das Blut des Angeklagten — aus der Probe etwa eine halbe Stunde nach dem Unfall sowie am 4. Januar. Der Lkw-Fahrer war stark betrunken hinters Lenkrad gestiegen. Die Messung hatte laut Polizeiangaben 2,6 Promille ergeben. Anhand des sogenannten CDT-Werts, der als Marker für Alkoholkonsum dient, sei ersichtlich, dass der Angeklagte zumindest in den zwei bis drei Wochen zuvor täglich Alkohol in nicht unerheblicher Menge konsumiert haben muss. „Das ist kein Beweis, aber ein sehr konkreter Hinweis“, sagt der Rechtsmediziner. Denn die Frage ist: War der hohe Promillewert ein einmaliger Fall oder war der 49-Jährige Trinker?
Gutachter Albrecht beschreibt den 49-Jährigen als normale Person, bei der normale psychologische Maßstäbe anzulegen seien. Er spricht von einem mittelgradigen Rauschzustand, in dem sich der Angeklagte an befunden habe. Ob der Lkw-Fahrer wirklich einen Filmriss hatte, wie er bei der Vernehmung angab, bleibt wohl ungeklärt. „Der Zeuge hat das Recht zu schweigen“, sagt der Richter. „Mit dem Rest muss er fertig werden.“