Fall Luca: Gericht prüft Mordanklage
Die Staatsanwaltschaft stellte nach der Aussage eines Rechtsmediziners einen entsprechenden Antrag.
Viersen. Es dauerte etwa 15 Minuten, bis der Rechtsmediziner all die Verletzungen aufgezählt hatte, die den toten Körper des kleinen Luca aus Dülken übersäten. „Wir haben es offensichtlich mit einem Gewaltexzess zu tun“, sagte der 39-Jährige am Mittwoch im Landgericht Mönchengladbach. Im vergangenen Oktober hatte er die Leiche des Jungen obduziert, für dessen Tod die Staatsanwaltschaft den 27 Jahre alten Martin S. verantwortlich macht. Der Rechtsmediziner sprach von „relativ klaren Misshandlungsbefunden“, die Gewalteinwirkung könne sich über mehrere Stunden erstreckt haben. Als dann später noch ein sachverständiger Gutachter die Tat als „sadistisch motiviert“ einstufte, stellte der Staatsanwalt einen rechtlichen Antrag: Wegen des Merkmals der Grausamkeit solle auch eine Verurteilung wegen Mordes in Betracht kommen.
Angeklagt ist Martin S. wegen Totschlags. Er soll Luca, mit dessen Mutter Amanda Z. er damals liiert war, im Kinderzimmer so schwer misshandelt haben, dass der Junge dies nicht überlebte. Welche der Verletzungen die Todesursache sei, „ist schwierig zu erkennen“, sagte gestern der Rechtsmediziner. Es gebe Anzeichen dafür, dass Luca gewürgt wurde, gab er an, er zählte verschiedene innere Verletzungen auf, sprach von „Zeichen einer massiven Gewalteinwirkung gegen den Bauch“ und „zahlreichen Hämatomen“. Darüber hinaus hatte er am linken Arm Verletzungen festgestellt, die darauf hindeuten, dass Luca zeitweise eine abwehrende Haltung eingenommen hatte. Martin S. verfolgte die Schilderungen des Arztes äußerlich ruhig, Lucas Mutter Amanda Z. schluchzte mehrmals. Auch sie ist angeklagt, wegen Misshandlung von Schutzbefohlenen durch unterlassen.
Gutachter vor Gericht
„Die Tat war ein wenigstens zweizeitiger Vorgang“, sagte der Rechtsmediziner und erläuterte: Erst wurde gegen Lucas Bauch stumpfe Gewalt ausgeübt, zu einem späteren Zeitpunkt gegen seinen Hals und seinen Kopf. Dazwischen seien mindestens 20 bis 30 Minuten vergangen, schätzte er. Beides könne innerhalb einer Nacht passiert sein.
Wie der Rechtsmediziner, bewertete auch der Sachverständige, der wenig später aussagte, die Tat als Gewaltexzess. Der 73-Jährige war an vier der fünf Prozesstage anwesend, hat den Angeklagten in drei Sitzungen untersucht, um ein psychiatrisches Gutachten zu erstellen. Martin S. sei „ein eher scheuer, zurückhaltender Mensch“, sagte er — „mäßig aufgeschlossen, ungesellig, emotional labil“. Darüber hinaus beschrieb der Gutachter den 27-Jährigen als misstrauisch und eigensinnig. „Er neigt zu Selbstabwertung, ist als wenig einsichtig und egozentrisch zu kennzeichnen.“
Martin S. soll Luca im Frühjahr 2016 mit einem Feuerzeug am Rücken verbrannt haben, dabei neben ihm im Bett gelegen haben — so hatte es ein Zeuge früher in der Verhandlung berichtet. „Würde ich das als gegeben unterstellen, wäre das eine eindeutig sadistische Handlungsweise“, sagte gestern der Gutachter. Die gewaltsame Tötung des Jungen „kann nichts anderes gewesen sein als eine sadistisch-destruktive Impulshandlung“, sagte er wenig später. „Es ist ein solches Ausmaß an grausamen Handlungen entstanden, dass eine Tötung aus Affekt völlig ausgeschlossen werden kann.“ Er sehe keine Gründe, die Handlungsfähigkeit des Täters in Frage zu ziehen, also auch keine Gründe für eine verminderte Schuldfähigkeit. „Ein Täter macht so etwas, um die Prozedur des Quälens und Misshandelns über einen langen Zeitraum aufrecht zu erhalten, weil ihm das Befriedigung bringt.“Der Staatsanwalt fragte, ob die Gefahr bestehe, dass bei einem Täter mit diesem Verhaltensmuster „sowas wieder vorkommt“. Die Wahrscheinlichkeit sei hoch, sagte der Gutachter.
Am Schluss des Prozesstages kündigte der Richter an, die Kammer werde prüfen ob eine Verurteilung wegen Mordes in Betracht komme. Sie habe sich darüber aber auch schon Gedanken gemacht.