Annenhof: Schatzkisten helfen bei der Trauma-Bewältigung

In der heutigen Folge der WZ-Serie geht es um die pädagogische Arbeit mit traumatisierten Kindern.

Foto: Lübke, Kurt (kul)

Kempen. Laura (11) ist ein Mädchen mit blonden Locken, das gerne Rosa trägt. Kaum zu glauben, dass sie manchmal Wutanfälle bekommt, bei denen sie alles um sich herum vergisst. Seit zwei Jahren lebt sie im Annenhof in einer Gruppe für traumatisierte Kinder und Jugendliche. Speziell ausgebildete Trauma-Pädagogen helfen ihr mit den schlimmen Erlebnissen, die sie in ihrem alten Umfeld erfahren hat, umzugehen. Sie hat das, was man bei Soldaten, die lange in Kriegsgebieten waren, als posttraumatische Belastungsstörung bezeichnet.

Ähnlich ist es bei Kiara. Die Elfjährige lebt seit acht Monaten in der Thomasgruppe. Vor ihr steht eine Schatzkiste, „Die hat hier jedes Kind“, erklärt sie. Darin sind persönliche Dinge, die helfen sollen, mit Trauer und Wut umzugehen. Kiara zeigt Badesalz, einen Massageball und Parfüm.

In Lauras Kiste sind Sorgenpüppchen, Brause, Schokolade und ein Gummiband, das sie gegen ihren Arm flittschen lässt, wenn sie wütend ist. „Damit ich keinen anderen verletze“, sagt sie.

Erzieherin und Trauma-Pädagogin Marita Parnitzke erklärt den psychologischen Sinn der Schatzkisten. „Unsere Kinder waren Geschehnissen wie Gewalt, sexuellem Missbrauch oder Vernachlässigung ausgesetzt. Sie sind bei uns in Sicherheit, aber die Todesangst und die Ohnmachtsgefühle sind immer noch da.“

Durch bestimmte Reize wie Gerüche, Geräusche oder Berührungen, die das Kind an die schlimmen Erlebnisse erinnern, kommen diese Gefühle wieder. „Die Gegenwart wird zur Vergangenheit. Das Gehirn gaukelt dem Bewusstsein vor, das Kind würde wieder bedroht.“

Reaktionen seien oft starke und plötzliche Wutanfälle. „Wir haben festgestellt, dass das Kind aufgrund der Traumatisierung seine plötzlichen Reaktionen weder verstehen noch steuern kann“, sagt Parnitzke. „Für uns Erzieher ist es wichtig, das Kind dann auszuhalten. Beruhigendes Reden oder in den Arm nehmen hilft da nicht. Das Kind ist in dem Moment nicht ansprechbar“, ergänzt Gruppenleiterin Corinna Lenssen. Sie ist Sozial-Pädagogin und hat eine Zusatzausbildung zur Trauma-Pädagogin gemacht.

Ziel von Marita Parnitzke, die im Bereich Pädagogik die Leitung übernommen hat, ist es, dass irgendwann alle Erzieher im Annenhof die Zusatzausbildung zum Trauma-Pädagogen gemacht haben. Denn: „Im täglichen Zusammenleben mit den uns anvertrauten Kindern und Jugendlichen machen wir immer mehr die Erfahrung, dass viele Kinder in bestimmten Situationen völlig unverhältnismäßig agieren und plötzlich aggressiv werden.“

Laura hat zusammen mit Corinna Lenssen eine Liste angefertigt. Darauf stehen Aktivitäten, die ihr helfen sollen, mit ihrer plötzlichen Wut umzugehen beziehungsweise sich von ihr abzulenken. Barfuß gehen durch den Sand, Mandala malen, Musik hören, ins Kino gehen.

„Natürlich hilft es nicht alleine, den Kindern hier ein sicheres Umfeld zu bieten“, sagt Lenssen. „Alle Kinder, die traumatisiert sind, gehen zu einem Psycho-Therapeuten.“