Kempen Bilanz einer „sonderbaren“ Sitzung

Die Ratsentscheidung zur Burg-Übernahme war denkwürdig. Für die Fraktionen waren es die intensivsten Beratungen seit langem.

Foto: Kurt Lübke

Kempen. Es sei eine „sonderbare Sitzung“, befand CDU-Fraktionschef Wilfried Bogedain vor seiner Stellungnahme zur Zukunft der Kempener Burg. Dies sagte er mit Blick darauf, dass am Dienstagabend rund 80 Besucher die Debatte im Ratssaal verfolgten. Aber ohne Frage auch mit Blick auf das unterschiedliche Meinungsbild seiner Fraktion. Letztlich stimmten acht CDU-Ratsmitglieder für eine städtische Burg-Übernahme — die entscheidenden Stimmen für die 28:14-Mehrheit. Zehn Christdemokraten, darunter Bogedain selbst, waren gegen die Übernahme. Für die CDU und auch alle andere Fraktionen waren die Burg-Beratungen die intensivsten seit langem. Beratungen, die Spuren hinterlassen haben.

Wilfried Bogedain machte keinen Hehl daraus, dass er sich nicht wohlfühlte, eine Entscheidung zur Burg zu treffen, obwohl weitreichende Analysen zu Kosten etc. noch gar nicht vorliegen. Parteifreund und Landrat Andreas Coenen ließ Bogedain und den anderen Christdemokraten aber keine Wahl. Städtische Übernahme oder Verkauf an einen Privatinvestor? Sucht es Euch aus! So war die Viersener Vorgabe. Letztlich lautete das CDU-Ergebnis 10 zu 8 contra Übernahme. Dazu outete sich im Vorfeld der einflussreiche Kreisfraktionschef Peter Fischer als Übernahme-Befürworter. Seine Stimme konnte er im Kempener Rat nicht abgeben, weil er im Urlaub weilte.

Nun könnte man den Zustand in der CDU-Fraktion als zerrissen bezeichnen. Das wäre aber schlichtweg falsch. Vielmehr haben sich die Christdemokraten intensiv mit den sachlichen Argumenten „ihres“ Bürgermeisters Volker Rübo gegen die Übernahme und mit den emotionalen Gründen für den Burg-Kauf auseinandergesetzt. Unterm Strich kam das unterschiedliche Meinungsbild im Abstimmungsergebnis zum Ausdruck. Nichtsdestotrotz wirkte die CDU im Ratssaal wie eine Einheit — ohne Frage ein Verdienst des erfahrenen Fraktionschefs Bogedain.

Und die SPD? Die hat seit langer Zeit wieder Profil gezeigt. Sachlich und klug erläuterte Fraktionschef Andreas Gareißen die Position der Sozialdemokraten. Im Vorfeld hatte er bereits in Gesprächen mit anderen Fraktionen — allen voran mit CDU-Kollege Bogedain — den Weg für den modifizierten Beschlussvorschlag geebnet. Während die SPD bei vielen anderen Themen in der Vergangenheit eher blass blieb, sind die Burg-Beratungen und das Abstimmungsergebnis Gareißens Meisterstück. Da hätte es den historisch gehaltvollen, aber letztlich doch oberlehrerhaft wirkenden Vortrag von Heinz Wiegers zur Burg gar nicht gebraucht.

Das trifft auch auf die pathetischen Aussagen von Grünen-Fraktionschef Joachim Straeten zu. Als Antragsteller hatten die Grünen in der Burg-Debatte früh das Heft in die Hand genommen. Mit starken Argumenten und der realistischen Einschätzung, dass der Landrat nichts mehr mit der Burg zu tun haben will, forderten sie die Übernahme durch die Stadt. Das war über Wochen und Monate ein sachlicher und mutiger Auftritt. So wie bei anderen Themen in der Vergangenheit. Dass Straeten die Burg-Abstimmung dann aber zum historischen Tag ausrief und zudem erwähnte, dass sich „die Kempener ihre Burg nicht wegnehmen lassen“, war ein bisschen drüber.

Denn sind wir mal ehrlich: So wohltuend und gut das große Interesse aus der Bürgerschaft auch ist — ohne den Archiv-Wechsel des Kreises nach Dülken hätte sich wohl in den nächsten Jahrzehnten kaum jemand übermäßig für die rund 600 Jahre alte Burg interessiert. Das Denkmal samt jährlichem Martinsfeuerwerk bedeutet den Kempenern sicher etwas. Aber auch ohne die nun bevorstehende Entwicklung eines Burg-Projektes wäre Kempen weiterhin die schönste Stadt im Kreis Viersen.

Die sogenannten kleinen Fraktionen haben in der Burg-Debatte — weitgehend — durch Sachlichkeit überzeugt. Allen voran die Freien Wähler Kempen (FWK), die sich seit Jahren von Lokal-Historiker Hans Kaiser in der Debatte beraten und beeinflussen lassen. FWK-Chef Udo Kadagies ging auf die Verantwortung der Stadt für die Burg ein. Aber auch auf die von Landrat Coenen, Unterstützung zu leisten.

Ebenso sachlich die Stellungnahme des fraktionslosen Ex-Grünen Jeyaratnam Caniceus: Er unterstütze den „tragfähigen“ Beschlussvorschlag der SPD.

Sachlich und Günter Solecki — das passt nicht immer zusammen. Die Argumente des Linken-Fraktionschefs pro Übernahme waren gut. Man kann seine Meinung teilen, dass die Stadt nun Zeit für eine Burgentwicklung habe und zunächst kein großes finanzielles Risiko trage. Mit Blick auf die Finanzen beging er jedoch zwei Fehler. Erstens: Dass in Kempen die Gewerbesteuereinnahmen sprudeln, mag jetzt so sein, muss aber keinesfalls so bleiben. Das hat die Stadt schon mehrfach erlebt. Zweitens: Die Aussage „Wir haben Geld wie Dreck“ ist nichts anderes als Populismus, den Solecki nicht nötig hat.

Hätten wir noch die FDP, die standhaft bei ihrem Nein zur Übernahme geblieben ist. Zu hoch seien die Kosten, zu groß die anderen Aufgaben der Stadt. Damit verbündeten sich die Liberalen aus sachlich verständlichen Gründen mit der Verwaltungsspitze. Dass Irene Wistuba, Jörg Boves und Bernd Lommetz diese Meinung bis zum Schluss vertreten haben, ist keineswegs mut- oder ideenlos. Diese Entscheidung verdient vielmehr Respekt.

Ebenso wichtig und richtig war die Kritik von Wistuba an der Umfrage der Initiative „Denk mal an Kempen“. Sicher zeigt die Umfrage mit mehr als 2500 Abstimmungen das große Interesse der Kempener an der Burg. Ebenso sicher zeichnet das 92-Prozent-Ergebnis pro städtische Übernahme ein Meinungsbild. Vor allem durch die Möglichkeit von Mehrfachabstimmungen ist die Umfrage aber keineswegs repräsentativ. Das hat Wistuba völlig korrekt angemerkt. Die erfahrene Liberale machte aber letztlich einen Fehler. Sie bügelte das große Engagement der ehrenamtlichen Initiative zu harsch ab. Vor allem mit dem rhetorischen Angebot, die Burg für einen Euro an „Denk mal an Kempen“ abzugeben. Das war überflüssig.

Unterm Strich sollten alle Fraktionen nun positiv und frohen Mutes das Projekt Burg angehen. Es ist der demokratische Wille, dass sich Politik und Verwaltung um „das gute Stück“ kümmern. Die Bürgerschaft muss eingebunden werden, was angesichts des großen Interesses nicht schwer sein dürfte. Allen Beteiligten viel Erfolg!