Serie Vor 90 Jahren Grefrather brachte die Behindertenpädagogik voran
Grefrath. · Hermann Horrix bemühte sich schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts, behinderten Kindern eine Schulbildung zu ermöglichen.
Zu den immer wieder einmal zu spürenden großstädtischen Vorurteilen gegenüber den Bewohnern des sogenannten platten Lands gehört es, dass man dort empfindliche intellektuelle und Bildungsdefizite vermutet. Wer sich intensiv mit der Geschichte des niederrheinischen Raumes befasst, kann an etlichen Stellen den Gegenbeweis ausmachen: Auf allen Gebieten des Geisteslebens und der Wissenschaften hat der Niederrhein bedeutende Persönlichkeiten hervorgebracht, ob in der Philosophie, der Theologie, im Rechtswesen, in der Medizin, der Geschichtswissenschaft, der Pädagogik. Eine Ausstellung im Viersener Salon wird dies an markanten Beispielen belegen. Die Schau ist derzeit in den Räumen des Viersener Vereins für Heimatpflege in der „Villa Marx“ in Viersen, Gerberstraße, zu sehen.
Zu den zu Unrecht oft übersehenen historischen Gestalten gehört Hermann Horrix aus Grefrath, ein in Pädagogenkreisen reichsweit bekannt gewordener Pionier der Behindertenpädagogik. Angesichts der auch heute noch unverändert virulenten Diskussion um die Inklusion erscheint es naheliegend, dies zum Anlass einer Erinnerung an ihn zu machen.
Im Jahr 1859 als Sohn des angesehenen Grefrather Hauptlehrers Johannes Horrix geboren, errichtete er nach dem Besuch des Königlichen Lehrerseminars in Kempen die erste Hilfsschule für schwach begabte Kinder im nahegelegenen Düsseldorf und wurde nach erfolgreicher Arbeit schließlich 1911 Rektor der von ihm gegründeten Hilfsschule an der Bismarckstraße in Düsseldorf. Seine Kontakte zu Grefrath hielt er intensiv aufrecht.
Horrix untersuchte Probleme im Spracherwerb der Hilfsschüler
Mit Leidenschaft hat Hermann Horrix in Praxis und Theorie die schulische Förderung lernbehinderter Kinder vorangebracht und sich damit weit über das heimatliche Rheinland hinaus einen Namen gemacht. Nichts beweist dies nachdrücklicher als seine zahlreichen Veröffentlichungen. Seine Bücher erschienen in Hannover, Düsseldorf, Breslau und Halle. Dabei publizierte er auch im Auftrag des „Vorstandes des Verbands der Hilfsschulen Deutschlands“.
Ein im Jahr 1922 in Sachsen erschienenes Buch von Horrix verrät schon im Titel sein didaktisches Grundanliegen: „Begriffsbildung und Gedankenausdruck in der Hilfsschule. Methodische Winke und ausgeführte Lektionen zur Einführung der Hilfsschüler in das Verständnis und die Anwendung der Muttersprache.“ Zwei Jahre später erschien dann in Halle die zweite verbesserte Auflage seines Buches „Anschaulicher Rechenunterricht in der Hilfsschule. Ein Beitrag zum Arbeitsunterricht“. Zu nennen ist auch sein „Ratgeber beim ersten Sprech- und Leseunterricht auf phonetischer Grundlage“. Die mangelnde Mitarbeit vieler Eltern schwach begabter Kinder thematisierte er schon 1900 in dem mit der Frage „Worin hat die Abneigung einzelner Eltern gegen die Hilfsschule ihre Gründe?“ betitelten Beitrag.
Der Grefrather legte großen Wert auf anschaulichen Unterricht
Nicht nur schwach begabte Kinder fanden Horrix’ lebhaftes Interesse, auch blinde, taube, schwerhörige und auf andere Weise behinderte Kinder nahm er in den Blick. Dabei bestand seine Leistung vor allem in der steten Verbindung von Theorie und Praxis. Auf der Suche nach den Ursachen für kindliche Behinderungen begab er sich selbstsicher auch in den Bereich der Medizin. Und er formulierte Prinzipien der Didaktik: „Die beiden Grundwahrheiten allen Unterrichts: ‚Unterrichte anschaulich!’ und ‚Anschauung ist das Fundament allen Unterrichts’“.
Neben seinen selbstständigen Publikationen veröffentlichte er in einschlägigen Fachorganen und baute nach und nach seinen Ruf als reichsweit in der Entwicklung des Hilfsschulwesens namhafter Experte aus. Bis heute ist man sich seiner fachliche Reputation bewusst. Die Stadt Düsseldorf, um deren behinderte Kinder er sich besonders verdient gemacht hatte, benannte sogar eine Schule nach ihm. Der Kreis Viersen ehrte ihn 1998 mit der Prägung der Gedenkmedaille. Horrix starb am 17. Januar 1930.
Was für viele seiner Kollegen am Niederrhein so typisch war, traf auch auf Hermann Horrix zu: Nach seiner Pensionierung wieder in seine Heimatgemeinde Grefrath zurückgekehrt, widmete er sich der Ortsgeschichte. Und, was ebenfalls für zahlreiche Pädagogen seiner Epoche galt, er betätigte sich mit „Jahreswende 1929/30“ auch dichterisch, wenngleich unter dem Pseudonym Walter Voß, manchmal sogar mit seherischer Vorahnung:
„Jahreswende –
Schicksalswende?
Wird die schwere, lange Zeit
Sich nun nähern ihrem Ende
Oder bringen größ’res Leid?“