Drehorgelklänge in der Altstadt Nostalgische Klänge für Herz und Seele
Kempen · Am Samstag waren 18 Drehorgeln in der Altstadt unterwegs. Sie begeisterten die Menschen mit ihrem Klang und Aussehen.
Es wehte am Samstag mehr als nur ein nostalgischer Hauch Berliner Luft durch das Zentrum von Kempen: 18Drehorgelspielerinnen und -spieler ließen mit ihrer Musik längst vergangene Zeiten wieder aufleben. Und abends sollte es in der Propsteikirche zu einem längst überfälligen Tabubruch kommen: Die Leierkästen hatten in Kirchen noch nie etwas zu suchen gehabt. Am Samstag waren sie in der Propsteikirche höchst willkommen. Gemeinsam boten sie ein bis dato unbekanntes Klangerlebnis.
Einige der Akteure hatten
ihre Leierkästen selbst gebaut
Auch wenn es in letzter Minute einige Absagen gab: 18 Drehorgeln reichten aus, um die nostalgischen Klänge im Herzen der Stadt überall hören zu können. Auch Kinder blieben stehen und hörten fasziniert zu. Dieter Alberg aus Schiefbahn wurde spontan zum Mitmachen animiert. Der 69-jährige Chorsänger schwärmte: „Das ist genau die Musik, die ich mag – das ist was fürs Herz und für die Seele.“ Das schienen viele Passanten genauso zu sehen.
Christian Dressel aus Witten gehörte zu denen, die sich ihre Drehorgel selbst gebaut hatten. „Durch Zufall bin ich auf das unglaublich leichte Holz des chinesischen Blauglockenbaums gestoßen“, erzählte der Leierkastenmann aus Leidenschaft. Eine weitere Besonderheit seines Instruments: Elektronik steuert die einzelnen Pfeifen – das Instrument hat davon 56. Sohn Torben (15), der die Auftritte bei You Tube einstellt, war erstaunt: „Das Publikum hier in Kempen ist extrem aufgeschlossen und interessiert.“ „Im Ruhrgebiet wird man als Drehorgelspieler schon mal übersehen“, sagte sein Vater, der gelernter Tischler ist und in einer Werkstatt für Behinderte arbeitet.
Eine Drehorgel, die an
ein Karussell erinnert
Es gab auch einige Paare, die ihr Hobby gemeinsam ausüben. Gisela Lechner (72) war aus der Nähe von München angereist. Ihr Ehemann Josef trug einen Strohhut und lockte mit seinem selbstgebauten Leierkasten die Passanten aller Altersklassen an. Er erinnert an ein Karussell, die Pferde bewegen sich, mit dem Kurbeln betätigt er nicht nur den Blasebalg, sondern setzt auch die Mechanik in Gang, die die Pferde auf Trab bringt. Als früherer Büromaschinenmechanikermeister war das für ihn eine durchaus lösbare Aufgabe gewesen.
Einige Drehorgelspieler wie Jac von Sumbeck und Weil Geraats waren aus den Niederlanden angereist. Hubert und Brigitte Schlabbers aus Kaarst-Holzbüttgen sind erfahrene und begeisterte Drehorgelspieler. Seit etlichen Jahren organisieren sie das Drehorgelfest in Büttgen – das nächste findet am 14. Oktober statt. In Kempen gefiel es ihnen auf Anhieb hervorragend: „Das ist ein tolles Publikum hier und eine wunderschöne Stadt“, schwärmten sie unisono. Hubert Schlabbers schwärmt auch von seiner Orgel von Axel Stüber: „Das ist der letzte Drehorgelbauer in Berlin.“
Mintfarbenes Hemd, mintfarbene Drehorgel: Dieses harmonische Bild gab der einzige beteiligte Kempener Leierkastenmann ab. Günter Nelißen war mit der Resonanz sehr zufrieden, trotz der wenigen Absagen. Und der 69-Jährige freute sich riesig auf die abendliche Vorstellung in der Propsteikirche. Ute Gremmel-Geuschen hatte das Event im Rahmen der Muziek Biennale Niederrhein organisiert, Organist Christian Gössel hatte das Programm zusammengestellt.
Der Drehorgelsamstag endete mit einem Klangbild, das gespeist war von 18 Drehorgeln und der Orgel der Kirche – jeder durfte das spielen, was er wollte. Nach jahrhundertelangem Drehorgelverbot in den Kirchen drehten die Drehorgelspieler begeistert an der Kurbel ihres Prachtstücks und erfreuten sich an dem Klang im Gotteshaus, den die Straße nicht zu bieten hat.