Interview „Wir brauchen eine Gesamtstrategie“

Grefrath · Als überparteilicher Kandidat will Wirtschaftsförderer Jens Ernesti in Grefrath Bürgermeister werden.

In der WZ-Redaktion in Kempen stellte Wirtschaftsförderer Jens Ernesti im Interview seine Ideen für die Gemeinde Grefrath vor. Er will Nachfolger seines Chefs Manfred Lommetz werden.

Foto: Lübke, Kurt (kul)

. Jens Ernesti will Bürgermeister werden. Der Wirtschaftsförderer der Gemeinde Grefrath ist Mitglied der Grünen, geht aber als überparteilicher Kandidat ins Rennen. Unterstützt wird er von Grünen, FDP und der neuen Wählergemeinschaft GOVM. Mitten im Wahlkampf stellte er sich den Fragen der WZ.

Warum wollen Sie Bürgermeister werden?

Jens Ernesti: Ich fühle mich den Leuten in Grefrath verpflichtet. Ich bin der Richtige für die vor uns stehenden Herausforderungen und kann kreative Lösungsansätze liefern. Darüber hinaus bin ich als Mitarbeiter im Büro des Bürgermeisters schon jetzt in alle wichtigen Projekte und Themen involviert und verfüge über ein hervorragendes, weitreichendes Netzwerk.

Was sind die Herausforderungen?

Ernesti: Es ist die Gesamtidee. Wohin wollen wir als Gemeinde? Ich will das verdeutlichen: Es gab einmal eine Broschüre vom Kreis Viersen. Darin stand in etwa: Grefrath wirbt mit dem Etikett Sport- und Freizeitgemeinde. In einem Leitbildprozess möchte ich mit der Bürgerschaft, Politik und Verwaltung herausarbeiten, was wir als Gemeinde repräsentieren wollen. Wenn es Sport und Freizeit ist, dann sollten wir dies auch mit Leben füllen, zum Beispiel durch die Einrichtung von Sportklassen in den Schulen. Wir brauchen eine Gesamtstrategie, die im Marketing und in der Zusammenarbeit mit den anderen Kommunen genutzt werden kann. Weiter sind die Finanzen ein Thema und es gibt einen Nachholbedarf in der Infrastruktur.

Was gehört zu dieser Infrastruktur?

Ernesti: Kommunale Gebäude, Wohnraum, Schulen und Straßen. Da muss was reinfließen. Wir haben ja schon einige Dinge in der Pipeline, wo etwas passiert. Wie beispielsweise in Oedt mit dem städtebaulichen Entwicklungskonzept. Hier möchte ich gerne, dass das ISEK über das Jahr 2022 fortgeführt wird, um weitere Maßnahmen in Oedt durchführen zu können. Auch im Bereich der Schule wird investiert. Der Anbau an der Sekundarschule wird umgesetzt. Für den Bereich des Lehrerzimmers hätte ich den Sperrvermerk im Haushalt aufgehoben.

Hat Sie die Kandidatur von Roland Angenvoort (SPD) überrascht?

Ernesti: Mich hat das überrascht. Ich stand mit einigen in der SPD im engen Austausch. Und da war das noch kein Thema. Das hat sich dann später herauskristallisiert, mit der bekannten Geschichte. Ich kann aber auch das Ansinnen von Roland Angenvoort nachvollziehen, der stellvertretender Bürgermeister und schon lange Ratsmitglied ist.

Sie sind Mitglied der Grünen, sehen sich aber als überparteilicher Kandidat und treten als solcher an. Warum?

Ernesti: Ich sehe mich als überparteilich. Für mich war von Anfang an klar, dass ich nicht für eine Partei kandidieren will. Deshalb habe ich auch Unterschriften gesammelt, um mich als Kandidat bewerben zu können. Die Grünen haben auch nicht applaudiert, als ich mitgeteilt habe, nicht für sie zu kandidieren. Überparteilich bedeutet auch, dass ich mehr Arbeit habe, da ich nicht automatisch Unterstützung bekomme. Von den Leuten, die gesagt haben, sie unterstützen mich, bekomme ich natürlich Hilfe. Letztendlich liefere ich aber alleine die Inhalte, Themen, Texte und Konzepte. Ich bin alleinverantwortlich für meinen Wahlkampf. Das ist persönlich mein Ding. Natürlich sollte ein Bürgermeister generell überparteilich agieren, aber ich wollte dieser Aussage Ausdruck verleihen. Daher wird auch unter meinem Namen auf dem Wahlzettel keine Partei zu finden sein.

Sie haben dennoch ihr grünes Parteibuch behalten. Warum?

Ernesti: Ich bin damals Mitglied der Grünen geworden, weil ich dafür mit sorgen wollte, dass meine Kinder und Enkel einen bewohnbaren Planeten vorfinden. Und im besten Falle auf einem Wohlstandsniveau wie ich leben können. Ich habe natürlich überlegt, wie ich mit meiner Parteimitgliedschaft umgehe. Meine Definition des Bürgermeisteramtes hat es verlangt, hier klar Stellung zu beziehen und nicht für die Grünen zu kandidieren. Die Wahrheit steht auf dem Wahlzettel. Hätte ich meine Mitgliedschaft aufgegeben, hätte es andere Diskussionen gegeben. Meistens von Menschen, die mich nicht kennen. Fest steht: Ich war nie ideologisch. Sondern stets Befürworter eines Wettstreits der Ideen um das Beste für unsere Gemeinde zu erreichen.

Ist Bürgermeister Manfred Lommetz, der Sie unterstützt, ein Vorbild für Sie?

Ernesti: Ich fand es herausragend, wie er immer alle Fraktionen und Entscheidungsträger eingebunden hat. Manfred Lommetz hat sich immer für einen Interessensausgleich eingesetzt.  Es wird stets offen diskutiert. Das hat mich beeindruckt.

Sie betonen die offene Diskussion und einen Wettstreit der Ideen. Wollen Sie vermehrt die Bürger dabei einbeziehen? Wie stellen Sie sich das vor?

Ernesti: Aus meiner Sicht ist es heutzutage nötig, die Bürgerschaft über die gesetzlichen Rahmenbedingungen hinaus in Entscheidungen einzubeziehen. Dazu habe ich verschiedene Ansätze, wie eine Bürgermeistersprechstunde an Samstagen und Sprechstunden allein für Kinder und Jugendliche. Meine Erfahrung ist aber auch, dass unsere Bürgerschaft eine große Kompetenz und Kreativität besitzt. Das hat unter anderem die Beteiligung beim ISEK in Oedt gezeigt. Ich möchte eine digitale Plattform einrichten, auf der die Bürgerschaft ihre Idee einbringen kann. Hier können auch Informationen über Vorhaben der Verwaltung eingeholt werden und Einwendungen und Verbesserungen platziert werden.  Ich bin der Überzeugung, dass wir viel früher mit den Menschen ins Gespräch kommen und sie vorab mit ins Boot holen müssen. Im Rahmen von Ortsteilrunden möchte ich regelmäßig über anstehende Projekte informieren und in den Austausch gehen. Wir brauchen neue Formen auch über soziale Medien. Je besser die Menschen informiert sind, desto schneller und effektiver können wir die gemeinsamen Projekte umsetzen.

Diese Medien nutzen Sie im Moment intensiv. Weil anderer Wahlkampf zurzeit nicht möglich ist?

Ernesti: Das ist natürlich Zielgruppen-abhängig. Man erreicht unterschiedliche Zielgruppen. So nutze ich auch das Portal Tiktok für jüngere Leute. Da haben mich übrigens meine Kinder drauf gebracht. Aber es gibt natürlich eine große Gruppe von Leuten, die sich nicht so intensiv in der digitalen Welt aufhält. Da muss man andere Wege finden. Wie beispielsweise mit Marktständen. Den klassischen Wahlkampf gibt es also doch.

Jetzt sind Sie als Wirtschaftsförderer eher Einzelkämpfer. Wie sieht es denn aus, wenn Sie als Bürgermeister Mitarbeiter führen müssen?

Ernesti: Ich habe mich intensiv mit dem Thema Führung beschäftigt. Ich möchte eine agile Kommunalverwaltung und vertrete das Führungsmodell des Servant Leadership. Wenn wir uns auf die Stärken der Mitarbeiterschaft im Rathaus konzentrieren, können wir sehr viel Potenzial heben. Hier können wir als Verwaltung von der freien Wirtschaft und aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen lernen.

Und was würde aus der Stelle des Wirtschaftsförderers, wenn Sie Bürgermeister werden?

Ernesti: Die Nachfolge in der Wirtschaftsförderung würde ich ein bisschen anders definieren. Wirtschaftsförderung darf nicht überfrachtet sein, sondern braucht einen klaren Stellenzuschnitt mit dem nötigen Freiraum.

Würden Sie unter einem anderen Bürgermeister weiter Wirtschaftsförderer der Gemeinde bleiben?

Ernesti: Ganz ehrlich, darüber mache mich mir gar keine Gedanken, denn ich bin fokussiert auf die Bürgermeisterwahl.

Wie denken Sie über eine Stichwahl? Was setzen Sie sich als Ziel?

Ernesti: Mein Ziel ist es, Bürgermeister zu werden, egal ob mit oder ohne Stichwahl. Ich hoffe, dass ich durch meine Art und meine Arbeit überzeugen kann. Allen Demokraten sollte daran gelegen sein, möglichst viele Menschen zur Wahl zu animieren. Es wäre sehr schade für die Demokratie, wenn diese Wahl eine geringe Beteiligung hätte.

Wie würden Sie mit der AfD umgehen, sollte sie im Gemeinderat sitzen?

Ernesti: Grundsätzlich steht bei mir eigentlich immer der Mensch an erster Stelle, unabhängig von Partei und Weltanschauung. Wenn es allerdings antidemokratisch und menschenfeindlich wird, habe ich damit ein massives Problem.

Kommen wir zum Thema neues Rathaus. Welche Pläne haben Sie?

Ernesti: Der allgemeine Zustand ist untragbar. Man müsste überlegen und kalkulieren, ob die Fläche gegenüber dem Grefrather Rathaus geeignet ist. In welcher Form dann dort vielleicht gebaut wird, mit oder ohne Rathaussaal, müsste man dann sehen. Hohe Priorität hat Barrierefreiheit. Für die Gestaltung des Gebäudes sollte man offen sein. In Venlo gibt es ein gutes Beispiel, wie nachhaltig gebaut werden kann. Andere Kommunen, wie Tönisvorst oder Nettetal, planen ebenfalls neue Rathäuser. Man könnte zusammen Ideen einbringen und voneinander profitieren. Vorbild in puncto Nachhaltigkeit könnte auch das Kreisarchiv sein, das jetzt neu gebaut wird.

Wie schätzen Sie Ihr Verhältnis Richtung Kreis und Landrat Andreas Coenen ein?

Ernesti: Der Kreis hat eine immense Bedeutung. Jetzt auch mit seinem Engagement beim Eisstadion. Ich glaube die Zusammenarbeit wird gut funktionieren. Ich beobachte die Arbeit des Landrats schon eine Weile. Ich glaube, er macht einen guten Job.

Weitere wichtige Themen, wie Sie immer betonen, sind der Klimawandel und das Auseinanderdriften der Gesellschaft? Wie wollen Sie diese Themen lokal im kleinen Grefrath angehen?

Ernesti: Die großen Themen der Zeit machen vor unseren Ortsschildern keinen Halt, ob Digitalisierung, Überalterung, Klimawandel oder das Auseinanderdriften der Gesellschaft. Diese Themen verlangen auch Antworten vor Ort. Dem Auseinanderdriften der Gesellschaft kann man zum Beispiel durch eine größere Beteiligung der Bürgerschaft entgegentreten. Indem wir die Menschen wieder vermehrt einbeziehen in die Dinge, die sie angehen. Indem Entscheidungen und Möglichkeitsräume erklärt und verdeutlicht werden, und wir alle wieder bereit zum Diskurs sind, ohne viel Vorwissen zu erwarten. Dabei kommt dann auch wieder die Leitbildidee zum Tragen, gemeinsam Grefrath zu entwickeln. Das verbindet und schafft eine gemeinsame Identität. Man muss auch nachfragen, wie kommunizieren die Leute heute? Wollen Sie noch ins Rathaus gehen oder ihr Anliegen lieber digital vorbringen?

Das ist eine aufwändige Sache, auf mehreren Kanälen zu arbeiten. Wie wollen Sie das mit der derzeitigen Personaldecke schaffen?

Ernesti: Die Personalpolitik der Vergangenheit war wichtig und richtig und war maßgeblich für das Verlassen der Haushaltssicherung. Ein Fördermittel-Manager wäre eine Stelle, die ich neu schaffen würde. Diese Person hätte sich in kürzester Zeit rentiert. Auch wenn ich lieber eine adäquate finanzielle Ausstattung der Kommunen begrüßen würde, ist es aber nun mal Fakt, dass heute viel über Fördertöpfe läuft. Dies müssen wir verstärkt nutzen. Grundsätzlich sollten meiner Meinung nach Personalaufstockungen nur in wirklich notwendigen Fällen das Mittel der Wahl sein. Ich bin ein großer Befürworter von schlanken Prozessen. Hier läuft aktuell auch ein spannendes interkommunales Projekt mit einigen Kommunen. Auch Grefrath ist hier beteiligt. Da viele Prozesse in den Kommunen gleich verlaufen, muss nicht jede einzelne sich den gleichen anschauen, sondern wir können voneinander profitieren. Schlanke Prozesse schaffen Freiräume für die Beschäftigten und bieten eine schnellere Bearbeitung für die Bürgerschaft.

Würden Sie denn sagen, dass mehr Personal benötigt wird? Beispielsweise im Bauamt?

Ernesti: Im Bauamt gibt es viele Aufgaben. Neben Projekten wie Straßen, Kanälen, Schulerweiterung und Kita-Neubau, auch die Mammutprojekte ISEK und eventuell noch die Landesgartenschau 2026. Das müsste man eventuell mit Personal unterfüttern. Ich glaube, auch da gibt es Möglichkeiten der interkommunalen Zusammenarbeit. Ich bin sowieso ein Befürworter des Kreisgedankens und habe kein Leuchtturmdenken. Wir brauchen ein Kreisbewusstsein, denn wir sind letztendlich eine Schicksalsgemeinschaft.