Herr Hufer, die Zivilcourage steht im Mittelpunkt Ihres Buches. Wie kam es dazu?
Interview mit Politikwissenschaftler Klaus-Peter Hufer: „Widerstand ist demokratische Pflicht“
Kempen · Politikwissenschaftler Klaus-Peter Hufer spricht im WZ-Interview über sein neues Buch, in dem die Zivilcourage im Fokus steht. Die Rechtspopulisten der AfD sieht Hufer in der Corona-Krise „förmlich weggespült“. Die Partei habe nichts zu bieten, was hilft.
Professor Dr. Klaus-Peter Hufer hat es wieder getan. Er hat ein Buch geschrieben – zum 31. Mal. „Zivilcourage – Mut zu Widerspruch und Widerstand“ heißt das neueste Werk des Kempener Politikwissenschaftlers. Mit der WZ sprach der frühere Fachbereichsleiter der VHS des Kreises Viersen über sein Buch, Hass und Rassismus und die Argumentation dagegen. Und ja: Auch das Coronavirus war ein Thema.
Klaus-Peter Hufer: Das Thema ist seit Jahrzehnten Bestandteil meiner Forschung und praktischen Bildungsarbeit. Bei einem Vortrag in Wien hat sich ein Kontakt zum Verlag „Edition Konturen“ ergeben. Wir waren uns einig, dass es ein aktuelles und umfassendes Werk zur Zivilcourage nicht gibt. Und dann habe ich mich an die Arbeit gemacht.
Ins Buch steigen Sie mit dem Erlebnis eines Kollegen ein, der sich beruflich selbst für Zivilcourage einsetzt. Er hörte aus dem Nachbargarten, wie ein Vater seinen Sohn aufforderte „Heil Hitler“ zu sagen. Ihr Kollege reagierte zunächst nicht, konfrontierte den Nachbarn und andere Stellen erst einen Tag später damit. Wie ist das Phänomen zu erklären, dass wir bei so schockierenden Ereignissen zunächst zögern und nicht sofort eingreifen?
Hufer: Es ist schlicht und einfach eine Überrumpelung. Häufig sind Menschen, die mit so einem Ereignis konfrontiert werden, perplex. Sie sind sprachlos und wie durch eine Lähmung handlungsunfähig. Wer das überwinden kann und der Situation entgegentritt, zeigt Zivilcourage, drückt Widerspruch aus und leistet Widerstand. Sich zu widersetzen, dazu gehört viel Mut. Den Mut gegen Unrecht einzuschreiten. Widerstand zu leisten. Das kann man lernen, die Schritte dazu nehmen viel Raum im Buch ein.
Können Sie auf den Begriff Widerstand näher eingehen?
Hufer: Das Recht auf Widerstand ist ausdrücklicher Bestandteil des Grundgesetzes. In Artikel 20, Absatz 1, heißt es: „Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat.“ In Absatz 4 folgt: „Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.“ Daher ist es eine demokratische Pflicht, sich gegen Tendenzen und Handlungen zu stellen, die die Menschenrechte verletzen und Demokratie verachten. Es besteht die Pflicht, sich zur Wehr zu setzen, Widerstand zu leisten.
Wir leben in einer Zeit, in der Rechtspopulismus und Rechtsradikalismus ein Ausmaß angenommen haben, an das viele so nicht mehr geglaubt haben. Wie leistet man denn demokratischen Widerstand?
Hufer: Dazu ist ein argumentatives Handwerkszeug nötig. Mehr als 20 Kolleginnen und Kollegen und ich versuchen dies durch Vorträge und Seminare in Deutschland, aber auch in Österreich, Luxemburg und der Schweiz zu vermitteln. Ein entsprechendes Argumentationstraining kann hilfreich sein, um jedweden extremistischen Äußerungen, Übergriffen und Tendenzen entgegenzutreten.
Was erleben Sie in Ihren Trainings? Haben Sie und Ihre Kollegen Erfolg?
Hufer: Was mich seit einiger Zeit positiv und hoffnungsvoll stimmt, ist der Zulauf, den wir haben. Nun sind solche Veranstaltungen wegen der Corona-Krise erstmal auf Eis gelegt. Aber die Anfragen in den vergangenen Wochen und Monaten waren immens. In vielen Bildungseinrichtungen, demokratischen Parteien und Behörden wie Polizei und Feuerwehr, aber auch in Unternehmen und Initiativen und Organisationen der Zivilgesellschaft, besteht ein großer Wunsch nach Argumentationshilfen. Und genau dann ist ein Training erfolgreich. Wenn derjenige, der teilnimmt, sich auch wirklich darauf einlässt.
Das klingt ein wenig danach, als würden die Teilnehmer die Begrifflichkeit „Wir sind mehr“ mit Leben füllen wollen.
Hufer: In der Tat. Das Interesse ist groß. Übrigens, wenn man zugrunde legt, dass das rechtspopulistische Potenzial in Deutschland bei etwa 30 Prozent liegt, sind 70 Prozent auch mehr. Es gilt, dies deutlich zu machen und die Zahl auszubauen.
In der Kommunalpolitik in Kempen und im Kreis Viersen haben die Freizeit-Politiker noch nicht viel mit rechtspopulistischen Vertretern zu tun. Das kann sich aber nach der Kommunalwahl ändern. Wie gehe ich als Ratsmitglied von CDU, SPD, Grünen oder FDP mit AfD-Vertretern um?
Wie argumentiere ich?
Hufer: Die Fraktionen der Demokraten sollten den AfD-Vertretern entgegenhalten, dass sie demokratische Verantwortung übernommen haben. Und dass man dies auch schon über viele Jahre getan hat. Es muss den Wählern vermittelt werden, dass man gehandelt und eine Menge bewegt hat. Die AfD ist eine Zwei-Themen-Partei, die nur gegen Migration und neuerdings Klimaschutz agitiert. Kommunalpolitisch ergibt sich daraus, dass die AfD nichts zu bieten und zu sagen hat. Das können und sollten die Kommunalvertreter und die Kandidaten der anderen Parteien immer wieder deutlich machen.
Aktuell kommen wir um das Thema Coronavirus nicht herum. Was wird diese Krise gesellschaftlich und politisch verändern?
Hufer: Ich bin davon überzeugt, dass wir große Umwälzungen erleben werden. Meines Erachtens ist jetzt die Zeit, sich von der Faszination einer ungehemmten und unbegrenzten Globalisierung zu verabschieden. Wenn das ein Ergebnis der Krise ist, dann ist es ein gutes Ergebnis. Im Moment fragen die Menschen in großer Sorge nach einem schützenden Staat und rationalen Entscheidungen. Bezeichnend ist ja die große Zustimmung zu den starken Einschränkungen der eigenen Freiheitsrechte. Und die Menschen erleben ein stabiles demokratisches System in Politik und Verwaltung. Die dort handelnden Personen machen gute Arbeit. Derzeit wird die AfD von der Krise förmlich weggespült, sie steht mit leeren Händen da, sie hat nichts zu bieten, was hilft. Es ist eine Zeit, in der Rechtspopulisten, aber auch Neoliberalisten wie Friedrich Merz, absolut keine Rolle mehr spielen. Man stelle sich vor, wir hätten einen weit entgrenzten Markt, unser gesamtes Leben wäre nur betriebswirtschaftlich ausgerichtet. Und jetzt diese Katastrophe. Es würden dann noch viel mehr Menschen sterben. Vielleicht erleben wir jetzt eine Renaissance einer starken sozialstaatlichen Politik und den Wunsch danach.