Klavier extra in Kempen Klavierwerke gegen das Vergessen

Kempen · Annika Treutler überzeugte in der Paterskirche mit überlegter Werkwahl und erlesener Interpretation.

 Pianistin Annika Treutler spielte am Freitagabend in der Kempener Paterskirche unter anderem Werke jüdischer Musiker. 

Pianistin Annika Treutler spielte am Freitagabend in der Kempener Paterskirche unter anderem Werke jüdischer Musiker. 

Foto: Norbert Prümen

 Der in Berlin lebenden und an der dortigen „Hochschule für Musik Hanns Eisler“ lehrenden Annika Treutler genügt es nicht, Musik erstklassig zu interpretieren – sie engagiert sich auch für das vom Pianisten Lars Vogt initiierte Projekt „Rhapsody in School“, das junge Menschen für klassische Musik begeistern möchte, und vor allem für „#respondinmusic“,  dessen Initiatorin und Künstlerische Leiterin sie ist. Sinn dieser Initiative ist es, die „verfemte“ Musik des zweiten Weltkriegs – namentlich die jüdischer Tonsetzer – bekannt zu machen.

Für ihre Einspielung des Klavierkonzertes von Viktor Ullmann (1898 bis 1944) mit dem Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin erhielt die von Matthias Kirschnereit Ausgebildete den „Opus Klassik“. „Wir können das Leid, das diesen Menschen widerfahren ist, nicht ungeschehen machen, aber wir können die Künstler sprechen lassen und so vor dem Vergessen bewahren“, erklärte Treutler und stellte dann die Sonate Nr.3 op. 26b des 1944 in Auschwitz ermordeten Tonschöpfers vor. Die ganz eigene Sprache und die starke Aussagekraft des dreisätzigen, überwiegend wuchtigen und technisch herausfordernden Opus, das stilistisch kaum einzuordnen ist und nur sehr vage als nachromantisch bezeichnet werden kann, nahm in dieser bezwingenden Wiedergabe die Besucher in der Paterskirche spürbar gefangen.

Animiert vom Erfolg seiner Impromptus und Moments musicaux schrieb Franz Schubert im Jahre 1828, kurz vor seinem frühen Tod, „Drei Klavierstücke D 946“, die vielleicht deshalb nicht so bekannt sind, weil sie erst 1861 herausgegeben wurden – von Johannes Brahms. Die für Schubert typischen und technisch anspruchsvollen „unendlichen Melodien“ arbeitete die Pianistin einfühlsam, aber ohne Verzärtelung heraus.

Im Alter von 28 Jahren schrieb Johannes Brahms 25 Variationen und eine Fuge über Georg Friedrich Händels Aria in B-Dur und widmete sie einer „lieben Freundin“ – niemand anderem als Clara Schumann, die das umfangreiche und anspruchsvolle Tongemälde als Geburtstagsgeschenk erhielt. Brahms ist mit diesem Werk, das er selbst häufig in Konzerten spielte, eine überzeugende Synthese zwischen Barockmusik und Hochromantik gelungen, dem sogar Richard Wagner Anerkennung zollte: „Man sieht, was sich in den alten Formen noch leisten lässt, wenn einer kommt, der sie zu behandeln weiß.“

Auch Annika Treutler wusste die schwierige Aufgabe zu „behandeln“ – sie brillierte mit pianistischem Feinschliff, vermochte, wenn nötig, kraftvoll zuzupacken,  blieb aber auch den lyrischen Passagen nichts schuldig. Angesichts der Tatsache, dass sie ihr gesamtes Programm zweimal an diesem Abend spielte, auch physisch eine enorme Leistung. Ausdauernder, dankbarer Beifall war ihr sicher.

(oeh)