Misstrauen trifft Mitbürger
Welche Gefühle lösen die Demonstrationen bei Muslimen am Niederrhein aus?
Kempen/Willich. Özgür Öztürk lebt in dritter Generation in Deutschland. Sein Großvater wanderte in den 50er Jahren aus der Türkei ein. Vor zwei Monaten wurde mit seinem Sohn die vierte Generation geboren. Der 33-Jährige arbeitet als leitender Angestellter bei einer Bank. Die Öztürks bewohnen ein Eigenheim in Neersen. Kurz: Sie sind eine ganz normale Familie.
Doch das sehen offenbar nicht alle so. So musste der Familienvater schon vor einigen Jahren feststellen, dass er von manchen Menschen in seinem niederrheinischen Umfeld nicht mehr gegrüßt wird. Andere sehen in ihm nur einen Vertreter des Islam, fragen ihn beispielsweise immer wieder, wie er es denn mit dem Fastenmonat Ramadan halte. „Ich soll sogar Stellung nehmen, wenn irgendwo auf der Welt Extremisten ein Attentat verübt haben“, sagt Özgür Öztürk. Auch nach den Anschlägen von Paris wurde er angesprochen.
Und dann auch noch Pegida. Die sogenannten Patriotischen Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes sorgen mit ihren Demonstrationen nicht nur in Dresden für Aufsehen. „Diese demonstrative Ablehnung und das offensichtliche Misstrauen trifft mich“, sagt Öztürk. Und nicht nur ihn: „Auch bei uns im Verein war es schon Thema.“
Als Vorsitzender von MakGöc Almanya e.V. setzt sich der Neersener dafür ein, dass die während des Osmanischen Reiches auf dem Balkan entstandene Kultur nicht in Vergessenheit gerät. Mehr als 50 Familien in der Region gehören der Gruppe schon an. „Unser Wunsch ist es, die türkisch-mazedonischen Bräuche insbesondere in der Jugendpflege weiterleben zu lassen. Das direkte Ziel ist es, die Mitglieder kulturell, aber auch integrativ zu unterstützen. Wichtig ist uns nicht zuletzt, die Jugend von kriminellen Wegen abzuhalten.“
Gefreut habe man sich im Verein, dass Gegendemos zu Pegida wie etwa in Köln und Düsseldorf organisiert werden. „Es ist schade, dass man überhaupt gegen so etwas auf die Straße gehen muss“, sagt Öztürk.
Auch die Stimmung in der Kempener Ditib-Gemeinde mit 50 Mitgliedern ist „angesichts der Pegida-Demonstrationen sehr bedrückend“, wie Ilhan Avci berichtet. Der 49-jährige Gärtnermeister, verheiratet, zwei Kinder, ist Vorsteher des Vereins der Gemeinde. Ditib steht für Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion.
„Es ist für uns schmerzhaft, in den Medien zu verfolgen, wie viele Menschen mit wenig Hintergrundwissen und Gedankenlosigkeit sich instrumentalisieren lassen und ihre private und persönliche Unzufriedenheit auf die ,Anderen’ loswerden wollen“, bedauert Avci, der seit 1977 in Deutschland lebt. Er betont: „Wir, die Muslime in Kempen, sind friedvolle Menschen, die stolz sind, am schönen Niederrhein zu Hause zu sein. Wir fühlen uns diesem Land sehr verbunden und wir glauben an diesen Staat, der unsere Heimat ist.“
Der Gemeindevorsteher lobt das Verhalten der Kempener Bevölkerung insgesamt: „In der Weihnachtszeit wurde mir von vielen deutschen Bekannten, Freunden und Nachbarn Mut zugesprochen.“ Zu Weihnachten und Neujahr habe die Gemeinde Grußkarten von Kirchen, politischen und anderen Organisationen bekommen. Außerdem erfolgten bereits wieder Einladungen zu Begegnungen im Jahr 2015.
„Ich persönlich glaube nicht dran, dass Pegida ein dauerhaftes Problem sein wird“, sagt Ilhan Avci. „Es wird sich noch einige Zeit beschränkt lokal halten und sich selbst auflösen.“