Nur heile Welt in Nettetal?

Pfarrer Schnitzler bekam Ärger wegen seines sozialen Engagements und kritisiert: „Probleme werden hier verharmlost.“ Politiker sorgen sich um das Ansehen der Stadt.

Nettetal. Schockiert ist Benedikt Schnitzer: Aufgewühlt berichtet der katholische Pfarrer in der Predigt, man habe sich über ihn beschwert, weil er sich für drogenabhängige Jugendliche einsetze.

Der Vorwurf: Er bausche ein Problem auf, statt sich um seine Gemeinden in Kaldenkirchen und Leuth zu kümmern. "Die Leute tun so, als gäbe es das Drogenproblem bei uns nicht", meint Schnitzler hinterher betroffen. "Aber ich mache weiter, mir geht es darum, dass Menschen nicht die Augen vor Problemen verschließen." Der Pfarrer weiter: "Drogen oder Armut sind den Leuten unangenehm, darum werden die Probleme hier verharmlost."

Werden in Nettetal soziale Konflikte beschönigt oder gar verdrängt? Bekannt ist der Fall der Nettetaler Tafel, die durch massiven Druck aus der Bürgerschaft ihre Lebensmittelausgabe in Leuth aufgab (die WZ berichtete ausführlich).

Gerade das Thema Armut scheint politisch verpönt - jüngstes Beispiel: Kaum hat die SPD den Antrag gestellt, für Nettetal einen Armutsbericht zu erstellen, empören sich Politiker anderer Parteien. "Ein Armutsbericht schadet dem Ansehen unserer Stadt", heißt es aus Reihen der CDU. Dazu Parteivorsitzender Jürgen Boyxen: "Es gibt immer Leute, die die Augen vor allem verschließen, aber das ist nicht typisch Nettetal."

Auch Boyxen ist gegen den Armutsbericht: "Mit dem Begriff wird der Eindruck erweckt, hier gebe es richtig Armut, aber die fängt für mich da an, wo es am Allernötigsten fehlt, an Nahrung und Kleidung."

Anders sieht das SPD-Ratsherr Alexander Schwan: "Es geht um die Würde des Menschen, darum bedeutet Armut, wenn Leute sich keine Lebensqualität leisten können." Wie schwer sich viele Nettetaler mit dem Thema Armut tun, weiß auch Sozial-Pädagogin Ute Clevers: "Armut hat einen Klang von Versagen, so lange man so tun kann, als ob alles in Ordnung wäre, kann man sich in einer angeblich heilen Welt schützen."

Zu den politischen Diskussionen meint die Leiterin des Bürgerbüros Breyell: "Politiker wollen einerseits ihre Kommunen schützen, andererseits sind da Politiker in allen Parteien, die sofort ohne Aufhebens praktisch helfen, wenn Menschen in Not sind."

Solche Hilfsbereitschaft kennt auch Matthias Engelke: "Bei unseren sozialen Projekten machen viele Menschen engagiert mit." Der Pfarrer der evangelischen Kirchengemeinde Lobberich-Hinsbeck: "Und wenn sich Leute abwenden, ist es oft Verlegenheit und die Besorgnis: Was ist, wenn ich jetzt selbst betroffen wäre "

Sein katholischer Kollege Schnitzler hat nach seiner Predigt mittlerweile "viel Unterstützung aus den Gemeinden" erfahren; so ist er zuversichtlich, die Nettetaler Tafel wieder in Leuth zu etablieren: "Sicher, da ist viel Egoismus, aber wenn Menschen sich verschließen, dann sage ich: Wie wär’s, wenn ihr mal ein bisschen Liebe anderen gegenüber zeigt?"