Unschuldig im Visier der Justiz
Ein St. Huberter soll Kinder mit einer Waffe bedroht haben. Vor Gericht wurde er von aller Schuld freigesprochen. Der Fall ist das Resultat eines Nachbarschaftsstreits.
St. Hubert. Die Ereignisse des 23. Juli 2011 haben das Leben von Günter P. (Name der Redaktion bekannt) auf den Kopf gestellt. An diesem Tag wollte der Rentner mit seiner Frau in den Urlaub starten. In der Küche der Wohnung an der Hunsbrückstraße in St. Hubert erledigten die beiden ihre letzten Reisevorbereitungen. Kurze Zeit später standen sechs Polizeibeamte vor dem Mehrfamilienhaus. Der Vorwurf gegen P.: Er soll zwei Kinder von seinem Fenster aus mit einer Waffe bedroht haben.
„Dieser Vorwurf ist so ungeheuerlich. So etwas käme mir nie in den Sinn“, sagt der St. Huberter im November 2012. Kurz nachdem der Fall „endlich“ vor dem Kempener Amtsgericht geklärt wurde und juristisch einwandfrei feststeht, dass sich der 67-Jährige nichts hat zu Schulden kommen lassen.
Und wie kam es zu diesem Vorwurf? „Entstanden ist das aus einem Nachbarschaftsstreit“, erzählt der frühere Lkw-Fahrer. Die Kinder, die er angeblich mit einer Waffe bedroht hat, gehören zu zwei Familien, die damals ebenfalls an der Hunsbrückstraße wohnten. Eine der Familien sei inzwischen weggezogen. Über Monate habe sich ein Streit mit den Familien entwickelt. Nach einigen Ruhestörungen und anderen Streitigkeiten hätten Beleidigungen aus Richtung dieser Familien zur Tagesordnung gehört. Auch andere Nachbarn seien „permanent beleidigt und bedroht“ worden. „Das war die Hölle“, so P. „Mit dem Höhepunkt, dass ich auf die Kinder gezielt haben soll.“
Am besagten 23. Juli 2011 schaute Günter P. aus dem Fenster und sah die beiden Kinder auf der Straße — „das war völlig harmlos“, so der Rentner. Später jedoch sagten der Junge (12) und das Mädchen (9) aus, dass der Nachbar sie angegrinst habe, um kurz darauf eine Schusswaffe zu holen und mit dieser auf sie zu zielen. „Warum sollte ich denn so etwas tun?“, fragt sich der Vater und Großvater noch heute. Die Eltern der Kinder hätten sich den Vorfall nur ausgedacht, um ihm zu schaden.
„Sie wissen, dass ich im Besitz von Waffen bin“, so der Sportschütze. Diese seien aber alle ordnungsgemäß angemeldet und aufgehoben. Das habe ihm die Polizei auch noch vor Ort bestätigt. Trotzdem nahmen die Beamten die Waffen mit. „Schließlich mussten sie diesem Vorwurf ja nachgehen“, so der 67-Jährige.
Schon zwei Tage nach dem „Vorfall“ erklärte der damalige Polizeisprecher Bernd Klein gegenüber der WZ, dass die Kinder nicht bedroht worden sind. Und: „Die Waffen sind aber alle ordnungsgemäß registriert. Nach ersten Ermittlungen hat keine Gefahr für die Kinder und andere Anwohner bestanden.“ Das sah auch die Staatsanwaltschaft so — zu einer Anklage kam es nicht. Bei ihren Aussagen hätten sich die Kinder in Widersprüche verstrickt.
Trotzdem musste sich das Amtsgericht später mit dem Fall befassen, weil eine der beiden Familien P. zivilrechtlich verklagt hat. Aber auch in diesem Verfahren konnte nicht bewiesen werden, dass P. die Kinder mit einer Waffe bedroht hat. „Die Klage wird abgewiesen. Die Kosten des Rechtsstreits tragen die Kläger.“ Diese erlösenden Worte liest der 67-Jährige aus dem Urteil vor, das am 31. Oktober verkündet wurde. „Nach abschließender Würdigung der umfangreichen Zeugenaussagen und des gesamten Akteninhalts ist das Gericht nicht davon überzeugt, dass der Beklagte eine Schusswaffe auf die Kinder richtete und eine Schussszene nachstellte.“ Nach diesem Urteil ist die Angelegenheit für das Gericht erledigt.
Für P., der durch den Vorwurf „tief getroffen“ ist, aber noch nicht. Zunächst müsse er sich seine Gerichts- und Anwaltskosten von den Klägern zurückholen — es gehe um etwa 1800 Euro. „Das steht mir nach dem Gerichtsbeschluss zu.“