„Unsere Herzen nicht von Hass vergiften lassen“
Vor acht Jahren sorgte der Fall Mirco bundesweit für Betroffenheit. Nun lasen die Eltern des ermordeten Jungen, Sandra und Reinhard Schlitter, aus ihrem Buch.
Grefrath. Ihr Lächeln ist offen und herzlich. Die Augen spiegeln die Freude am Leben wider. Nichts deutet darauf hin, welche Tragödie hinter ihnen und ihrer Familie liegt. Sandra und Reinhard Schlitter ist auf den ersten Blick nicht anzusehen, was sie vor nunmehr acht Jahren erlebten, als der Fall Mirco bundesweit Schlagzeilen machte.
An einem kleinen Teil von dem, was sie durchstanden, als ihr Sohn verschwand, Ungewissheit sie begleitete, die Tat aufgeklärt wurde und der Prozess folgte, ließen sie im Rahmen der Veranstaltungsreihe Donnerstagsfrauen im MuM-Café in Grefrath die Besucherinnen teilhaben. Vor knapp 20 Frauen lasen sie aus ihrem Buch „Mirco — Verlieren. Verzweifeln. Verzeihen“ und redeten über das, was geschehen ist und was es mit ihnen und ihrer Familie gemacht hat.
„Grefrath hat seine Unschuld verloren“, beginnt die 42-Jährige vorzulesen. Das Ehepaar beschreibt, was Grefrath für sie und ihre Familie bedeutete: ein Ort, an dem sie sich nie hätten vorstellen können, dass ein Kind entführt wird. Für sie damals vielmehr ein Ort, an dem sie ihre Kinder zu selbstständigen, vertrauensvollen Menschen erziehen können und die Gefahren der Freiheit überschaubar sind. Doch am 3. September 2010 bricht die Unsicherheit über die Familie herein. Es ist der Tag, an dem der zehnjährige Mirco nicht nach Hause kommt.
Ein Erlebnis, das viele Familien hätte auseinanderbrechen lassen. Die Schlitters und ihre anderen drei Kinder aber schweißt es zusammen, auch wenn es nicht einfach war, mit der schrecklichen Situation umzugehen. „Wir sind den Weg der gegenseitigen Vergebung gegangen. Wir haben gemeinsam Verantwortung getragen, haben Tränen zugelassen und haben gemeinsam nach vorne geschaut, um nicht in einer Abwärtsspirale zu versinken“, erinnert sich Sandra Schlitter. Der Zusammenhalt der Familie, der Versuch, ein Stück Normalität in den Alltag zurückzuholen, Trost und Solidarität von anderen Menschen zu erfahren, all das half ihnen auf dem schweren Weg. „Wir haben uns von den Menschen getragen gefühlt, die uns Trost zusprachen und die für uns beteten“, sagt Reinhard Schlitter.
Für den Täter empfinden sie keinen Hass. „Wir wollen unsere Herzen nicht von Hass vergiften lassen. Hass soll nicht von uns Besitz ergreifen. Wir haben dem Täter verziehen. Vergebung ist wichtig, um den Teufelskreis von Hass und Rache zu durchbrechen“, betont das Ehepaar.
Der Weg der Vergebung sei der einzig richtige Weg. Das sei auch in anderen kleinen Dingen der Fall, fügt Sandra Schlitter an. Sie beschreiben den Täter nicht als das Böse an sich, sondern als einen Menschen, der das Böse gewählt hat. Eine Wahl, die Gott jedem Menschen lasse, denn „Gott hat allen einen freien Willen gegeben“, sagt Reinhard Schlitter.
Im MuM-Café herrscht eine ergreifende Stille. Die Zuhörerinnen fühlen mit und spüren das Gottvertrauen, das das Ehepaar hat und aus dem sie Kraft gezogen haben. Es gebe keine Gebrauchsanweisung, wie man weiterleben könne, sagen die Schlitters. Das Schicksal anzunehmen, wie es kommt und auf Gott zu vertrauen, hat ihnen ihrer Aussage nach geholfen. Sie haben erfahren, dass es keine Garantien gibt und nur die Gegenwart gestaltet werden kann. Das Buch, das die Schlitters mit Autor Christoph Fasel geschrieben haben, ist für sie auch ein Stück Trauerarbeit gewesen und das Reden über ihren toten Sohn und das sich Öffnen hilft ihnen noch heute.