Kreis Viersen Schmerzhaftes Urteil für viele Apotheker
Ein Spruch des Europäischen Gerichtshofs zur Preisbindung von Medikamenten schreckt heimische Apotheker auf.
Kreis Viersen. Das Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) war ein Paukenschlag: Die Luxemburger Richter kippten die in Deutschland übliche Preisbindung bei verschreibungspflichtigen Medikamenten. Was relativ abstrakt klingt, hat konkrete Bedeutung für Apotheken und Kunden in der Region. Die WZ hat sich in Apotheken umgehört.
Der EuGH folgte der Klage der niederländischen Versandapotheke DocMorris und ihrer Unterstützer. Die Preisbindung behindert den freien Warenverkehr und erschwert den Zugang für ausländische Anbieter zum deutschen Markt, so die Richter. Mit dem Urteil dürfen ausländische Anbieter zwar nicht den Grundpreis der Medikamente, aber ihre Zuschläge variieren. Die großen Versandhändler streben durch Preissenkungen weitere Marktanteile an.
Christian Förster, Inhaber der Willicher Marktapotheke, bezeichnet die Entscheidung als „Meilenstein“. Ob es massive Auswirkungen auf den deutschen Markt gibt und wie diese aussehen, könne er noch nicht sagen. „Ich kann mir allerdings nicht vorstellen, dass die Willicher jetzt anfangen, ihre Rezepte in Briefe zu packen und nach Holland zu schicken“, sagt Förster. Aufwand, Wartezeit und geringerer Service hielten viele Kunden ab. Die Ersparnis bei Versandapotheken sei im Verhältnis nur gering.
Förster wehrt sich gegen die Darstellung, das gesamte Preissystem sei durch das Urteil revolutioniert: „Wenn Sie ein Medikament für den Preis von 150 Euro kaufen, dürfen die ausländischen Anbieter nun ihren Zuschlag senken und Rabatt gewähren. Das sind dann maximal fünf Euro. In Relation ist das eine Träne im Ozean.“ Förster geht aber davon aus, dass auch deutsche Apotheken darauf klagen, Rabatte auf ihren Zuschlag gewähren zu dürfen. Denn das Urteil gilt nur für Anbieter aus dem Ausland: „Wobei ich nicht verstehe, warum eine Apotheke aus Malta den gleichen Zugang zum Markt in Willich bekommen soll wie ich“, so Förster. Panikmache möchte er auf keinen Fall. Entwicklungen müssten abgewartet werden. Zudem hätten Versandapotheken bislang kaum einen Fuß auf den Markt der verschreibungspflichtigen Medikamente bekommen. Dabei hätten sie das Rabattsystem trotz Verbot bereits über Umwege praktiziert.
Rolf-J. Küppers, Chef der Kempener Enger-Apotheke, sieht die Entwicklung weniger entspannt. Er greift DocMorris, den Marktführer unter den Versandapotheken, direkt an: „Es ist eine Unverschämtheit, dass DocMorris überhaupt zugelassen wird.“ Das neue Urteil bedeutet nichts Gutes für kleine Apotheken.
Küppers befürchtet, dass sie durch die neuen Möglichkeiten für ausländische Anbieter weitere Nachteile im Konkurrenzkampf erfahren. Dabei fühlt sich Küppers durch seine Branchenverbände schlecht vertreten. Sie seien keine Hilfe für kleine Apotheken. Gleiches gelte für die Politik.
„Ein Angriff auf die flächendeckende Versorgung durch Apotheken“ nennt Jutta Breiing, Inhaberin der St. Töniser Bärenapotheke, das EuGH-Urteil. Mit Blick auf mögliche Entwicklungen bekomme sie weiche Knie. Sollten nur die ausländischen Anbieter Rabatte gewähren dürfen, sei das problematisch für das Geschäft der kleinen Anbieter.
Die Versandapotheken seien „Rosinenpicker“. Sie hätten die Möglichkeit, spezielle Angebote für bestimmte, profitable Patientengruppen zu entwickeln. Das sei ein Vorteil im Konkurrenzkampf. Denn die kleinen Apotheken hätten eine Mischkalkulation zwischen profitablen und weniger profitablen Patientengruppen.
Dem Argument, die verhältnismäßig geringen Rabatte pro Medikament würden den ausländischen Anbietern nicht maßgeblich helfen, widerspricht Breiing. Bei großen Bestellungen oder regelmäßigen Einkäufen komme eine nennenswerte Ersparnis zusammen. Eine Lockerung der Preisvorgaben für deutsche Anbieter lehnt Breiing aber ab: „Das Ergebnis wäre ein ruinöser Preiskampf mit vielen Schließungen.“ Sie hofft auf Schutz durch den Staat. Schließlich sei die Medikamentenversorgung eine staatliche Aufgabe, die die Apotheker als Selbstständige übernommen hätten.