UN-Auszeichnung für Viersenerin „Flughäfen blockieren ist ein Weg, aber nicht mein Weg“

Viersen · Als erste Deutsche erhielt die 27-jährige Viersenerin die Auszeichnung der „United Nations Convention to Combat Desertification“ – für ihre Idee zur Rettung von zerstörten Böden.

Die Viersenerin ist die erste Deutsche, die die Auszeichnung erhalten hat – für ihre Idee der Renaturierung von Böden durch Barfußpfade. Foto: Timo Sieg

Foto: Timo Sieg

Lina Pickhardt steht auf einer Bühne in der Bonner Bundeskunsthalle. Neben ihr neun weitere junge Menschen, sie alle kommen aus den verschiedensten Ländern: Indien, Mali, Brasilien, Costa Rica, Moldau, Marokko, Philippinen, USA, Zimbabwe – und Viersen. Diese Menschen stehen an diesem 17. Juni dort, weil sie Institute gegründet haben, um mit Künstlicher Intelligenz kranke Nutzpflanzen frühzeitig zu erkennen; oder die größten Aufforstungsinitiativen ihres Landes leiten. Sie setzen sich ein für Gleichberechtigung oder Lösungen des Dürreproblems. Pickhardt ist eine von ihnen. Diese gemeinsame Auszeichnung der „United Nations Convention to Combat Desertification“ (UNCCD) bedeutet ihr aus einem bestimmten Grund besonders viel.

Die 27-Jährige machte ihr Abitur auf dem Anne-Frank-Gymnasium und zog danach nach Paderborn, studierte dort Populärmusik und Medienwissenschaften. Schon in dieser Zeit engagierte sie sich bei der Arbeiterwohlfahrt in Paderborn und leitete Integrationskurse, in Willich half sie Flüchtlingen bei Amtsgängen oder Bewerbungen. Pickhardt sagt dazu: „Es ist echt schwer, wenn man ankommt, eigentlich gar nichts versteht und dann mit der ganzen Bürokratie klarzukommen. Dann zu sehen, dass die Leute inzwischen ihre Ausbildungen geschafft haben und hier arbeiten, ist sehr schön.“

Nach dem Studium fing sie bei der Petitionsplattform Change.org an und arbeitete zunächst an Umwelt- und Tierschutzthemen im regionalen Büro NRW. Dann arbeitete sie sich hoch, wurde Global Marketing Lead, wo sie Projekte in neuen Ländern anstieß und mit Teams in Afrika, Asien oder Südamerika zusammenarbeitete. „Dadurch bin ich viel rumgereist. Alleine das hätte ich nie gedacht, in meiner Familie hat vorher nie jemand den Kontinent verlassen“, sagt Pickhardt. „Auf den Reisen habe ich lokale Probleme kennengelernt und bin so auch mit den Themen Wüstenbildung und Bodenschutz in Berührung gekommen.“

Und Berührung ist ein gutes Stichwort für den Grund, aus dem Pickhardt überhaupt zum „Land Hero“ ausgezeichnet wurde. Ihre Idee: mit Barfußpfaden Böden in der Natur zu restaurieren. Was Pickhardt in anderen Ländern als extremes Problem beobachtet hat, kann auch Deutschland nicht gänzlich ignorieren: Versiegelte Bodenflächen verschärfen Wasserknappheit, die sich auch bei uns immer mehr anbahnt.

Pickhardts Blick geht aber über unsere Grenzen hinaus: „Wir hatten jetzt einige sehr warme Sommer, aber unsere Bodenqualität ist verhältnismäßig gut. Trotzdem haben unsere Agrarwirtschaft und Chemikalien, die wir nutzen, Auswirkungen in anderen Ländern.“ Das ist der 27-Jährigen besonders wichtig: „Wir sind letztendlich allen Menschen dieses Planeten, deshalb geht uns das alle was an.“ Umso mehr freute sie sich, zusammen mit Menschen aus aller Welt von der UNCCD ausgezeichnet zu werden. „Es ist sehr besonders, wenn man gemeinsam an einer Sache arbeitet, egal wo du herkommst.“

Im Moment sind Klimaaktivisten wieder viel in den Nachrichten, weil sie Flughäfen blockieren. Ein sehr anderer Ansatz als der von Pickhardt. Wie sie das sieht? „Diese Proteste sind sehr wichtig, um Aufmerksamkeit zu erregen. Das respektiere ich total. Gleichzeitig ist das aber nicht mein Weg, sondern eher, Lösungsansätze zu bringen.“ So wie die Barfußpfade, die sie als Bewerbung für die UN-Auszeichnung wählt. Sie nahm Bad Sobernheim als konkretes Beispiel, denn „das ist der älteste Barfußpfad Deutschlands und der erste, den ich besucht habe – meine Patentante wohnt in der Nähe.“ Der Pfad ist rund 3,5 Kilometer lang und führt unter anderem durch einen Fluss. „Das war immer das Highlight unseres Urlaubs.“ Pickhardt gefiel schon immer die Idee, Land für Tourismus zu benutzen, ohne es zu versiegeln.

Die 27-Jährige ist in Anrath aufgewachsen, ihre Familie lebte lange auf einem restaurierten Bauernhof. „Ich bin die ganze Zeit in der Natur gewesen und das war mir auch schon immer wichtig“, sagt sie. Ihre Liebe für nachhaltige Landwirtschaft habe sie früh entdeckt – als Schülerin machte sie ein Praktikum beim Biobauernhof Stautenhof.

Auch ihre Leidenschaft zur Musik entwickelte sich früh, schon mit etwa drei Jahren war sie in der musikalischen Früherziehung, in der Kreismusikschule lernte sie Cello und brachte sich letztendlich das Klavier selbst bei: „Ich komme leider nicht mehr so oft dazu, aber Musikmachen ist für mich immer ein Ausgleich, ein Fluchtpunkt, wenn gerade mal alles zu viel wird.“

Inzwischen ist die Viersenerin wiedergekehrt: Während ihrer Zeit bei Change.org lebte sie in einer Düsseldorfer WG und sparte Geld zusammen. Nach Umstrukturierungen bei der Petitionsplattform, mit denen sie nicht einverstanden war, kaufte sie sich ein Haus in Viersen und arbeitet inzwischen als Produktmanagerin in einer IT-Firma. Sie möchte aber in Zukunft auch wieder beruflich im Umweltbereich arbeiten. Gemeinsam mit ihr wohnen noch einige Katzen, die sie für den Tierschutzverein Kreis Viersen von der Straße rettet. Pickhardt engagiert sich außerdem für die Rettung von exotischen Wildtieren wie Affen oder Tigern, die als private Haustiere gehalten werden dürfen, aber oft nicht artgerecht behandelt werden. Sie ist froh, wieder in der Heimat zu sein: „Die Familie ist hier und ich habe gemerkt, dass ich aufs Land zurück möchte.“