Aktion: Ein Stolperstein für „Onkel Mo“

Die Aktion „Gegen das Vergessen“ von St- Bernhard-Schülern geht langsam zu Ende. Ihr Lehrer Bernd-Dieter Röhrscheid plant für Mittwoch und für Dezember weitere Stein-Verlegungen.

Der Schiefbahner Moses Rübsteck, genannt „Onkel Mo“, auf einem Foto mit seiner Großnichte Margot Hilde, die den Holocaust überlebte.

Schiefbahn. Als Bernd-Dieter Röhrscheid 2011 mit seinen St. Bernhard-Schülern das Projekt startete, ahnte er wohl nicht, wie sehr ihn „Gegen das Vergessen: Stolpersteine in Willich“ noch beschäftigen würde. 42 Stolpersteine zur Erinnerung an jüdische Mitbürger sind mittlerweile verlegt worden, elf weitere folgen Mittwoch — und im Dezember nochmals 19.

Die mit einem „J“ gekennzeichnete Kennkarte von Sara Kaufmann.

Die umfangreiche Recherche, die dazu führte, füllt mittlerweile ein ganzes Buch (siehe Kasten). Rund 20 Korrekturen über das Schicksal jüdischer Bewohner von Willich konnten an das Bundesarchiv geschickt werden. Vor allem aber ist Bernd-Dieter Röhrscheid durch die Arbeit an dem Projekt ganz persönlich berührt worden. „Viele Schicksale der Menschen gehen mir nach. Ich träume nachts davon“, berichtet er.

Siegfried Wallach wurde schon 1938 in das KZ Dachau gebracht.

Der mittlerweile pensionierte Lehrer träumt von Menschen wie „Onkel Mo“. So lautete der Spitzname von Moses Rübsteck, der einst in Schiefbahn bekannt war wie der berühmte „bunte Hund“. Mit seinem Handwagen zog er durch den Ort und verkaufte Seife und andere Waren von Haus zu Haus. Auf dem Kopf trug er einen Hut, wie man ihn ähnlich aus der Sarotti-Reklame kannte.

Insgesamt elf Stolpersteine werden verlegt. Foto: Archiv

Der stets unverheiratet gebliebene alte Herr, 1857 als Sohn von Leyser und Amalie Rübsteck geboren, wohnte lange an der Alten Pastoratstraße. Im April 1942 wurde er, 85-jährig, in das jüdische Altenheim an der Grafenberger Allee in Düsseldorf umgesiedelt — und wenige Monate später nach Theresienstadt ins Ghetto deportiert. In Treblinka wurde „Onkel Mo“ am 21. September 1942 ermordet. Mittwochvormittag wird Gunter Demnig zur Erinnerung an ihn einen Stolperstein vor dem Haus Alte Pastoratsstraße 9 verlegen.

„Wir sprechen alle Verlegestellen mit den heutigen Bewohnern der Häuser ab“, berichtet Bernd-Dieter Röhrscheid. Das gilt auch für die Willicher Straße 7, wo einst Sara Kaufmann lebte. Die gelähmte Frau, 1854 geboren, lebte lange mit ihrem Bruder Jakob zusammen. Nachdem der 1938 gestorben war, wurde sie von der Hausangestellten Frau Wienands — vermutlich hieß sie Elisabeth mit Vornamen — betreut.

Wienands hatte erhebliche Schwierigkeiten, weil sie eine Jüdin umsorgte, ihr wurden zum Beispiel die Lebensmitterationen gekürzt. Trotzdem weigerte sie sich, die alte Dame aufzugeben, bis diese im Juli 1942 im Alter von 88 Jahren nach Theresienstadt deportierte wurde. Dort starb sie schon Mitte August an Entkräftung. Ihrem letzten Wunsch entsprechend, erbte ihre frühere Angestellte das Haus an der Willicher Straße — allerdings erst, nachdem die Herrschaft der Nazis zu Ende war.

Bewegt hat Bernd-Dieter Röhrscheid auch das Schicksal von Siegfried Wallach (Foto 3). Der 1888 geborene Schiefbahner war schon nach der Pogromnacht 1938 verhaftet und ins KZ Dachau gebracht worden. Dort wurde er — schwer geschunden — im Januar 1939 wieder entlassen. Ab diesem Zeitpunkt muss er Fluchtpläne geschmiedet haben, die er im Herbst des selben Jahres auch umsetzte: Am 2. Oktober verließ er die elterliche Wohnung (Wallach war unverheiratet) an der Willicher Straße, angeblich um einen Vetter in der Eifel zu besuchen. Tatsächlich ist er wohl direkt über die belgische Grenze nach Brüssel geflohen.

In Sicherheit war er nicht: Nach dem Einmarsch der Deutschen wurde Siegfried Wallach im Mai 1940 verhaftet, interniert und in ein Sammellager nordöstlich von Paris verschleppt. Von dort aus erfolgte im August 1942 die Deportation nach Auschwitz. Bis heute ist ungeklärt, ob er dort oder schon auf dem Weg dorthin ermordet wurde. Ein Stolperstein wird an der Willicher Straße 19 an ihn erinnern.