Blinder macht Kung Fu
Für Mike Dmuschewski ist der 19. Dezember ein besonderer Tag. Denn dann macht der fast blinde Mann den schwarzen Gürtel.
St. Tönis. Jeder Tritt und jeder Schlag, den Mike Dmuschewski gegen die Pratze, gehalten von Trainer Jason Johnson, ausführt, sitzt millimetergenau in der Mitte. „Sehr gut“, kommt das Lob vom Rand der großen Sportmatte. Frank Scheler, Inhaber der St. Töniser Kampfsportschule „Kung Fu San Soo“, schaut aufmerksamen beim Training der acht Kung-Fu-Schüler zu. Einer von ihnen ist Dmuschewski. Den 19-Jährigen zeichnet aber nicht nur der braune Gürtel aus, denn er bereits trägt. Der Gymnasiast, der im nächsten Jahr sein Abitur macht, ist fast blind.
Auf dem rechten Auge sieht er nichts und auf dem linken Auge erreicht er mit Hilfe einer starken Brille gerade einmal zwölf Prozent Sehkraft. Der Sehnerv ist auf dem einen Auge nicht ausgebildet und auf dem anderen nur sehr schwach. „Vor acht Jahren, als ich mit Kung Fu angefangen habe, hatte ich nie gedacht, dass ich einmal den schwarzen Gürtel machen würde“, sagt Dmuschewski und lächelt dabei ein wenig. Dass es doch so gekommen ist, verdankt er Scheler.
Der damals Elfjährige wollte, neugierig gemacht durch die Erzählungen eines Freundes, der Kung Fu lernte, auch gerne diesen Sport ausüben. Doch als sein Vater mit ihm entsprechende Kung-Fu-Schulen besuchte erfuhr er Ablehnung. „Aufgrund meiner starken Sehbehinderung wollte man dort nicht mit mir trainieren“, erzählt Mike.
Als die St. Töniser Familie dann bei Kung Fu San Soo nachfragte, war für Scheler sofort klar: Mike kann bei ihm den Kampfsport lernen. „Ich habe zu ihm gesagt, wenn er die Geduld habe, könne er das. Ich jedenfalls habe diese Geduld.“ Dem Jungen musste nur klar sein, dass es bei ihm ein bisschen länger dauere. „Aufgrund seiner kaum vorhandenen Sehkraft musste er seine anderen Sinne um so mehr schärfen“, sagt Scheler.
Der Trainer muss lächeln: Vor acht Jahren sei Mike ein kleines, schmächtiges Kerlchen gewesen, heute ist er ein gut durchtrainierter junger Mann. Scheler und seine Trainer, insbesondere der Personalfitnesstrainer Timur Duman, kümmerten sich um Mike, wobei Scheler die Selbstdisziplin lobt, mit der sein sehbehinderter Schüler durch all die Jahre trainiert.
„Andere trainieren dreimal in der Woche, ich fünfmal. Bei mir dauert es halt ein bisschen länger, bis wirklich alles sitzt“, erklärt Dmuschewski. Durch seine Sehbehinderung hat der St. Töniser Probleme mit der Koordination und dem Gleichgewicht. Dinge, die er allerdings durch das Kung Fu ständig schult.
Wer ihn auf der Matte sieht, merkt in keiner Weise, dass er mit einer starken Sehbehinderung zu kämpfen hat. Hier sitzt jede Bewegung, schnell, präzise und bis ins kleinste Detail perfekt ausgeführt. Aufgeregt ist Dmuschewski aber schon, wenn er an seine Schwarzgurtprüfung denkt. Damit ist für ihn aber noch lange nicht Schluss. Der 19-Jährige strebt danach den ersten Dan an.