Tönisvorst Ein offenes Ohr für jedes Problem

Jede Woche findet im St. Töniser JFZ eine Sprechstunde für Flüchtlinge statt. Die Ratsuchenden stehen Schlange: Sie haben Fragen zur Familie, zu Formularen und zu Post vom Jobcenter.

St. Tönis. Im Fünf-Minuten-Takt wird Karin Steffan ein neues Schicksal über den Besprechungstisch gereicht. In dem Raum im ersten Stock des Jugendfreizeitzentrums JFZ bekommt das, was täglich in der Tagesschau aus Syrien, Afghanistan und anderen Kriegs- und Krisengebieten, über Flüchtlingsströme, Bürokratie und Hilfe berichtet wird, einen Namen, ein Gesicht und eine Stimme.

Foto: Kurt Lübke

Dem jungen Syrer, der als erster die Sprechstunde der Flüchtlingshilfe Tönisvorst aufsucht, geht es um seinen Personalausweis. Das Dokument soll sich in der syrischen Botschaft in Berlin befinden.

Jovana Mohring sitzt mit am Tisch. Die Tönisvorsterin, gebürtig aus Haifa in Israel, spricht Arabisch. Sie ist sprachlich Dreh- und Angelpunkt der Sprechstunde. Sie hört dem Mann zu, sortiert und übersetzt die Informationen, berät sich mit den anderen Tönisvorster Helfern im Raum, wägt Lösungen ab und übersetzt dem Syrer schließlich, was aus seinem Anliegen wird.

„Ich rufe da an“, verspricht Karin Steffan ihm. Sie kümmert sich seit Juli wie so viele andere Bürger ehrenamtlich in ihrer Freizeit um die Flüchtlinge in der Stadt. „Ich kenne in der Botschaft jemanden. Ein ganz Netter. Ich kümmere mich.“ Dann schreibt Steffan den Namen des jungen Mannes in ihr Ringbuch, die Botschafts-Notiz daneben und strahlt ihn an: „Okay, finished.“ Der Syrer steht auf, lächelt, sagt „danke“ und „tschüss“.

Ein Landsmann ist der Nächste. Er hält ein Kuvert in den Händen. Ein Brief vom Kempener Jobcenter. Mit einem Termin. Der Syrer ist jetzt anerkannter Flüchtling, unterliegt daher nicht mehr dem Asylbewerber-Leistungsgesetz. Nun muss er Arbeitslosengeld II beantragen. Außerdem muss er sich bei einer Krankenkasse anmelden, kann ein Konto eröffnen und muss einen Integrationskurs absolvieren. 600 Schulstunden umfasst ein solcher Kurs. Doch momentan sind alle im Kreis Viersen und in Krefeld belegt.

„Das bedeutet Wartezeit“, sagt Steffan. Wer kann den jungen Syrer begleiten? Wer fährt? Wer dolmetscht? Der Kreis der Helfer, die in der Flüchtlingshilfe engagiert sind, ist groß. „Mein Auto ist schon voll“, sagt Jutta Krins, die sich auch jede Woche Freitag Zeit für die Sprechstunde im JFZ nimmt. Dann wird sich jemand anderes finden. Mohring übersetzt hin und her. Steffan notiert, was zu tun ist. Der Nächste, bitte.

Der dritte Syrer sucht eine Wohnung. Anfragen können an die Allgemeine Wohnungsgenossenschaft gerichtet werden. Aber ob dort zurzeit eine Wohnung frei ist? „Einer müsste mit ihm am Computer recherchieren“, sagt Steffan. Javana Mohring hakt ein. „Da ist noch ein Problem. Sein Neffe, 16 Jahre alt, ist gerade in Mönchengladbach angekommen.“ Die Eltern des Jungen seien tot, der Syrer sein engster Verwandter. „Kann er die Vormundschaft für seinen Neffen übernehmen, um den Jungen hier zu sich zu nehmen?“

„Das ist doch ein Fall für Gerhard Koslowski. Der kennt sich damit aus“, sagt Steffan. Zwei Minuten später sitzt ein weiterer Syrer im Besprechungsraum. Wieder kein „Fall“ für Hossein Karbasi. Der gebürtige Iraner lebt seit Jahrzehnten in Deutschland. Er ist extra aus Krefeld zur Sprechstunde nach St. Tönis gekommen, um zu dolmetschen, wenn Perser und Afghanen Fragen haben. Aber heute bleibt er stummer Zuhörer. Dieser junge Fragesteller war in der vergangenen Woche schon da und fragt nun nach dem Antrag auf ein beschleunigtes Asylverfahren.

„Ich habe alles gemacht“, antwortet Karin Steffan erfreut und blättert in ihrem Aktenordner einige Klarsichtfolien weiter. „Sie müssen hier nur noch unterschreiben. Dann schicke ich das Schreiben zur zentralen Ausländerbehörde nach Bielefeld. Die entscheiden dann nach Aktenlage.“ Unterschriften von zwei anderen Syrern bekommt sie später auch noch.

Nur einen aus der Gruppe, die aus Vorst angeradelt ist, muss sie vertrösten. „Zwei haben identische Nachnamen, wurden beide von Arnsberg zugewiesen und wohnen im selben Haus. Ich habe einen übersehen.“ Die eigene Nachlässigkeit, die nun zu einer kleinen Verzögerung führt, ärgert Karin Steffan. Das spürt man. Aber der Syrer lächelt höflich und nickt, als Steffan ihm übersetzten lässt, er müsse für die Unterschrift in der nächsten Woche wiederkommen.

Schließlich sitzen ein Vater und sein zehnjähriger Sohn am Tisch. Die zwei sind allein in Tönisvorst, die Ehefrau und der jüngere Sohn sind noch in Syrien. Der Vater hat eine Klarsichtfolie dabei, in der er Formulare und Papiere, die er besitzt und bekommen hat, aufbewahrt. Er händigt Karin Steffan, wie sie erfreut feststellt, „überbeglaubigte Papiere“ aus, Originale.

Jeder Stempel könnte für die Hoffnung des Mannes stehen, seine Familie bald wieder zusammenführen. Schon allein für seinen Sohn, der so still dasitzt und dem mehrsprachigen Gespräch folgt. Er leide sehr unter der Trennung von seiner Mutter, weiß Jovana Mohring. Immer wieder richtet sie mit warmer Stimme ein paar Worte an den Jungen, lächelt ihn an.

Jeder am Tisch würde in diesem Moment gerne Berge versetzen können, um den Jungen glücklicher zu sehen. Doch es geht nur in kleinen Schritten vorwärts. „Darf ich die Papiere behalten? Ich muss sie kopieren“, fragt Steffan. Der syrische Vater nickt und gibt die beglaubigten Originale in fremde Hände. Wieder so ein Vertrauensvorschuss, der Steffan bewegt. „Ich kümmere mich!“