Tönisvorst Eine Erfindung, die Weltruf brachte
Der St. Töniser Hans Kutz hat die Lebensgeschichte von Valentin Appenzeller aufgearbeitet. Der hatte für Küsters in Krefeld vor 60 Jahren eine bahnbrechende Innovation an den Markt gebracht.
St. Tönis/Krefeld. Die Firma genießt Weltruf und das hat durchaus mit Menschen zu tun, die in St. Tönis und Kempen leben — und lebten. Die Maschinenfabrik Küsters, in Krefeld an der Gladbacher Straße ansässig, revolutionierte die Welt der Papierherstellung und -veredelung durch eine Erfindung, die ein Kempener Ingenieur gemacht hatte und die vor genau 60 Jahren zum Patent angemeldet wurde.
Valentin Appenzeller hieß der Mann, den viele für ein Genie hielten. Er starb im Jahr 1983 und seine Lebensgeschichte wäre vielleicht nie erzählt worden, wenn nicht sein früherer Büro-Nachbar und Küsters-Prokurist Hans Kutz aus St. Tönis diese aufgearbeitet hätte.
Hans Kutz über den Erfinder Valentin Appenzeller
„Das war ein ganz bescheidener Mann“, erinnert sich der 88-jährige Kutz. Er hatte über viele Jahre täglich mit Valentin Appenzeller zu tun. Der wiederum schrieb irgendwann seinen Lebenslauf auf. „Den hat er mir ein Jahr vor seinem Tod geschenkt“, sagt Hans Kutz. Er wertete das Papier aus und fasste es zu einer Biografie zusammen. „Die habe ich seinem Heimatort zur Verfügung gestellt. Die wussten überhaupt nicht, was für ein bedeutender Mensch dort mal geboren wurde.“
Der Reihe nach: Valentin Appenzeller wurde am 20. November 1912 in Pfalzdorf geboren, heute ein Stadtteil von Goch. Ursprünglich stammte die Familie aus der Schweiz. Die hatte sie im 17. Jahrhundert verlassen, um nach Amerika auszuwandern.
Noch als Kind zog Appenzeller mit seinen Eltern nach Krefeld. Diese hatten dort einen Bauernhof gepachtet. „Die landwirtschaftliche Mitarbeit auf dem Hof war für ihn nicht die erste Wahl“, berichtet Kutz. Deswegen begann er im April 1929 eine Lehre bei den Deutschen Edelstahlwerken in Krefeld (später Thyssen). Sein Ausbilder hieß Eduard Küsters — hier wurde die Grundlage für die erfolgreiche Nachkriegsgeschichte gelegt.
„Während der Lehrzeit hatten die Ausbilder bereits erkannt, welche technischen Möglichkeiten er mitbrachte. Sie schlugen vor, er solle zur Ingenieurschule gehen“, erzählt Kutz. Obwohl ohne Abitur konnte Appenzeller ein Studium beginnen, das er 1938 abschloss. Eine Stelle bekam er sofort: bei Rheinmetall in Düsseldorf. „Dort war er für Geschütze zuständig, die auf Schiffen zum Einsatz kamen“, so Kutz.
Mit dem ruhigen Arbeiten war’s schnell vorbei. Nach den alliierten Luftangriffen auf Düsseldorf wurden die Konstrukteure nach Leipzig versetzt. „Mittlerweile war er ein perfekter Geschützbauer geworden“, weiß Kutz. Was dazu führte, dass höchste Generäle ein- und ausgingen. Vom damaligen Rüstungsminister Albert Speer wurde Appenzeller für eine Erfindung mit einer Prämie von 10 000 Reichsmark ausgezeichnet.
Nach dem verheerenden Angriff auf Leipzig wurden die Konstrukteure nach Thüringen verlegt, wo mit Hochdruck an der Entwicklung von Raketen gearbeitet wurde. Die Leitung dieser Gruppe hatte kein Geringerer als Wernher von Braun — der Mann, der Hitlers Wunderwaffe bauen sollte und der später bei der US-Raumfahrtbehörde Nasa ganz groß Karriere machte. Als es auch hier zu gefährlich wurde, setzten sich die Konstrukteure ins österreichische Kufstein ab. „Mit einem Freifahrschein, der von Hitler persönlich unterschrieben war“, so Kutz.
Es kam das Kriegsende, begleitet von einer Internierung der Techniker und Ingenieure. Auf verschiedenen Kohlezügen kam Appenzeller schließlich zurück ins heimische Krefeld. Auf der Suche nach einem Job in Nachkriegsdeutschland begegnete er seinem ehemaligen Ausbilder Eduard Küsters. Der kümmerte sich um zerstörte Maschinen und Anlagen, versuchte, diese instand zu setzen. 1949 gründete er seine eigene Firma, mit von der Partie war Valentin Appenzeller. Der Auftrag, eine Entwässerungsmaschine zu bauen, führte zur Konstruktion der „schwimmenden Walze“ — eine Jahrhunderterfindung.
„Von da an konnte man auch Walzen bauen, die viel breiter waren als vorher“, erklärt Kutz. Mehrere tausend davon wurden hergestelltt, manche mit einer Länge von zwölf Metern. Diese liefen in einem Tempo von bis zu 2500 Metern in der Minute. „Die schwerste Walze wog 80 Tonnen.“
„Nach 60 Jahren wird sie immer noch eingesetzt“, sagt Hans Kutz. Er erinnert sich noch genau, dass Valentin Appenzeller in den USA geehrt wurde, nachdem seine Erfindung auch dort patentiert worden war. Ein Grund, abzuheben, war das für den Kempener nicht. „Wegen seiner besonnenen Art wurde er von allen Kollegen geschätzt und geachtet“, sagt Kutz.
Und auch seinem Geburtsort Pfalzdorf blieb er verbunden. Mehrfach im Jahr war er dort zu Gast. Wenngleich hier niemand ahnte, was für ein außergewöhnlicher Lebenslauf hinter dem bescheidenen Mann steckte. Der örtliche Heimatverein interessiert sich mittlerweile dringend für seine Biografie.