Experte für Straßennamen
Bernd-Dieter Röhrscheid erforscht die Herkunft alter Bezeichnungen.
Schiefbahn. Auf dem Tisch steht ein Laptop. Drumherum liegen Karten und Bücher, teilweise mit kleinen Lesezeichen, teilweise aufgeschlagen.
Bernd-Dieter Röhrscheid forscht nach der Entstehungsgeschichte von Straßennamen. Aktuell geht es um Anrath — der Band, der sich mit diesem Ortsteil beschäftigt, soll noch in diesem Jahr erscheinen. Mit Schiefbahn und Neersen hat er sich — gemeinsam mit Stadtarchivar Udo Holzenthal und einem Lehrer-Kollegen vom St. Bernhard-Gymnasium — schon 1996 und 1998 beschäftigt. Am Ende des Projekts soll ein Gesamtwerk über die Straßennamen in ganz Willich stehen.
„Diese Idee, das nicht nur ortsteilbezogen, sondern für die ganze Stadt zu machen, stammt von Buchhändler Günter Meyer“, erzählt Röhrscheid. Denn die Geschichte der Straßennamen sei längst eine Gesamt-Willicher Geschichte. Viele Umbenennungen in den 70-er Jahren haben ihren Grund nämlich in der kommunalen Neugliederung, bei der Willich in seinen heutigen Grenzen zusammen gelegt wurde — und da konnte es eben nicht mehr zwei oder drei Bahnstraßen geben, sondern nur noch eine.
Der 63-Jährige forscht akribisch. Er liest Werke, die sich mit der Geschichte von Flurbezeichnungen im allgemeinen und am Niederrhein im speziellen beschäftigen. Mit auf dem Tisch liegt auch „Die Geschichte der Herrlichkeit Neersen und Anrath“, ein Werk von 1878 mit Seiten, die fast beim Anfassen zerbrechen.
Aber mit solchen Büchern tastet er sich heran. Oftmals heißt die Frage: Wer war eher da — die Henne oder das Ei? Sprich: Ist ein Hof nach dem ihn umgebenden Flurstück benannt oder diente er im Gegenteil als Namensgeber für sein Umland.
Die Vennheide, die 1660 als Vinheidt auftaucht, hat ihren Namen wohl von Venn oder Vin erhalten, was in alter Zeit Feucht- und Heidegebiet bedeutete. Vin war mundartlich sogar das Moor. „Der Vennhof ist wahrscheinlich nach dieser Flur benannt, weil sie schon sehr früh mit diesem Namen auftaucht.“
Manchmal gilt es auch, Schreibweisen zu klären und zu erforschen. Die Meisfelderstraße in Anrath ist tatsächlich richtig geschrieben. „Sie leitet sich von der Meise ab, nicht vom Mais“, weiß Röhrscheid. Denn die älteste Quelle, die das Meisfeld beschreibt, stammt aus dem Jahr 1527. „Und da war Mais in Deutschland noch unbekannt“, sagt der Forscher.
Allerdings sei bei dieser Straße im Laufe der Jahrhunderte noch etwas Ungewöhnliches passiert. „Irgendwann sind Meisfeldstraße und Lerchenfeldstraße wohl vertauscht worden“, nimmt Röhrscheid an. „Denn heute führt die Meisfeldstraße durch die Flur Lerchenfeld — und umgekehrt.“
Seine Forscherleidenschaft existiert schon lange. Zuerst war da die Familienforschung, irgendwann kam die Geschichte der Straßennamen dazu. 1994 hat er mit einem Differenzierungskurs in Sozialwissenschaften den Grundstein zum ersten Straßennamen-Band gelegt. Die Schüler merkten schnell, dass diese Art von Forschung gar nicht so einfach ist. „Oft ist es schwierig, die richtigen Quellen aufzutreiben“, erzählt der Schiefbahner weiter. „Die Zuständigkeiten und Ortszuschnitte wechselten häufig.“
Dank seiner Kontakte zu Stadtarchivar Holzenthal kommt er aber an viele Werke heran, die anderen Hobby-Forschern verschlossen bleiben.
Aus seinen Arbeiten sind auch schon Vorschläge für die Benennung neuer Straßen hervorgegangen. Unter anderem hatte er 1994 vorgeschlagen, dem Ringofenweg seinen heutigen Namen zu geben. Als er sechs Jahre später an genau diesen Weg zog, hatte er schon längst vergessen, wer für die Namensgebung verantwortlich war. Nicht aber seine neuen Nachbarn — sie begrüßten ihn lächelnd als den Mann, der seiner neuen Heimat erstmal einen Namen gibt, bevor er irgendwo hinzieht.