Buch-Tipp der Stadtbibliothek Tönisvorst Wie ein Hipster das Dorf aufmischt
Tönisvorst · Carmen Alonso, die Leiterin der Tönisvorster Stadtbücherei, gibt unseren Lesern Literaturtipps. Diesmal: „Der Hipster von der traurigen Gestalt“ von Daniel Gascón.
Enrique ist zu Onkel und Tante aufs Land gezogen, nach La Cañada, einem Ort im Nordosten Spaniens. Dort hofft er, einen Biogarten anlegen und vielleicht ein wenig seinen Liebeskummer vergessen zu können. Der Umzug von Madrid in dieses 200-Seelen-Dorf ist eine Umstellung, doch Enrique glüht in Vorfreude und führt als erstes einen Workshop zur „Neuen Männlichkeit“ ein. Dass zu diesen Treffen nur seine Tante und drei Freundinnen erscheinen, egal. Enrique bleibt zuversichtlich. Er ist jung, hip und voller Tatendrang, die seiner Meinung nach provinziellen Ansichten und die archaische Lebensweise der Dorfbewohner aufzumischen: Sie trinken zu viel, fahren zu viel Auto, selbst die Hühner leben nach überkommener heteropatriarchaler Ordnung.
Sein Tag startet achtsam mit Yoga und danach wird die Gegend erkundet: Doch gibt es im Krämerladen kein Quinoa, seine Kaffeemischung auch nicht und Handyempfang schon gar nicht. Enrique beginnt, Kontakt zu den Einwohnern zu suchen, und besucht täglich die zwei Kneipen im Ort, die Bar mit der netten Wirtin Lourdes vielleicht ein wenig öfter. Die verdutzten Nachbarn beäugen ihn anfangs misstrauisch, doch der junge Hipster ist derart gutmütig und naiv, dass sie ihn gewähren lassen und ihn mit seinen verrückten Ideen und der Intellektuellensprache ins Herz schließen.
Die Geschichte um diesen idealistischen „Hipster von der traurigen Gestalt“ wird in unterschiedlichen Stilformen erzählt: Tagebucheinträgen, Interviews oder Drehbuch-Szenen. Sie beschreibt diverse Alltags-Episoden, eine grotesker als die andere: Beispielsweise nutzt ein weiblicher Popstar als Bühnenkostüm in einem Musik-Video ungefragt die ortstypische Frauentracht, die nur an Festtagen angelegt wird – Frechheit pur und kulturelle Aneignung! Oder der Tag, als eine Amazon-Drohne Enriques extravagante Kaffee-Bestellung bringt, aufgebrachte Dörfler das unbekannte Flugobjekt abschießen und sich eine Scheune entzündet.
Durch seine Loyalität und seine Beharrlichkeit für die gute Sache gewinnt der moderne Don Quijote das Vertrauen der Nachbarn und wird sogar zum Bürgermeister gewählt. Doch nach und nach muss Enrique erkennen, dass der politische Wille seine Grenzen hat und dass Machtausübung Menschen offenbar zermürbt: Werden die Hemden von Macron schließlich nicht auch immer hässlicher?!
Eine Satire, spöttisch und gleichzeitig voller unerwarteter Wendungen, über aktuelle Aufreger-Themen unserer Zeit; zudem bei allem Klamauk ein Text über das extreme Ungleichgewicht zwischen Stadt und Land und über die Spuren, die es in einer Gesellschaft hinterlassen kan.