Tönisvorst Tin Lizzy statt Ferrari

Seit sechs Jahren ist das St. Töniser Ehepaar Petra und Michael Velling Besitzer eines Ford T von 1925. Und genießen die Entschleunigung.

Foto: Korall

St.Tönis. Michael Velling macht sich an diversen Hebeln seines Autos zu schaffen, stellt Zündung, Gasgemisch und elektrische Spannung ein, bedient den Starter und schon meldet sich mit robuster Geräuschkulisse, man könnte auch sagen: mit ziemlichem Getöse, der Vierzylinder des 91 Jahre alten Autos. Das Modell Ford T — besser bekannt als Tin Lizzy — ist abfahrbereit. Seit sechs Jahren ist das Ehepaar Velling stolzer Besitzer des Oldtimers. „Seit sechs Jahren lebt er dieses Auto“, sagt Petra Velling mit Blick auf ihren Gatten. Wobei auch bei ihr unverkennbar ist, dass sie „Benzin im Blut“ hat. Bereitwillig hat sie sich für den Fototermin in passende historische Klamotten geworfen.

Wie kommt man an ein solches Auto? „Eigentlich wollte ich immer einen Ferrari fahren“, sagt Michael Velling und lacht. Dann kam ein USA-Urlaub dazwischen. In Detroit besichtigten beide das Geburtshaus von Henry Ford, wurden dabei auch mit einer Tin Lizzy über das Anwesen des Auto-Pioniers gefahren. „Wir haben uns angeguckt und war klar: kein Ferrari“, erzählt Petra Velling.

Zurück in Deutschland begannen die Vellings, sich umzusehen. Wurden schließlich bei mobile.de fündig. Natürlich war das Auto nicht in dem Zustand, den sich Velling wünschte. Hier färbt auch sein Beruf ab, er ist Gutachter bei der Dekra. Also begann er zu basteln. Die Räder wurden mit neuen Holzspeichen versehen, zwei Hupen besorgt, ebenso eine originale Wegfahrsperre, die um ein Rad geklemmt wird. Und das ist nur ein Bruchteil der Arbeit. „Original sind Motor, Karosse, Getriebe und Hinterachse“, sagt Michael Velling. Er hat rund 800 Stunden Arbeit in das Auto gesteckt. Nicht mitgerechnet die viele Zeit, die er damit verbringt, Original-Teile im Internet zu suchen und zu bestellen. Etwa die Heizung: In einen ovalen Behälter wird Kohle gelegt und angezündet. Den Behälter legt man dann in den Fußraum, um so ein wenig Wärme abzubekommen.

Wann immer möglich, rollt die Tin Lizzy offen. „Den Wind immer um die Nase“, lacht Petra Velling, die beruflich Autositze konstruiert, und zwar bei Johnson Controls im Bergischen Land.

Beide müssen heute noch schmunzeln, wenn sie an die erste Fahrt mit dem Wagen denken. Die drei Pedale im Fußraum haben in der Funktion nur sehr entfernte Ähnlichkeit mit dem, was man in heutigen Autos vorfindet. Links kuppelt man ein für die Vorwärtsfahrt, mittig geht’s rückwärts. Rechts ist die Bremse, allerdings nur für den Motor. „Hier wird die Kurbelwelle langsamer“, erklärt Velling. „Getreu dem Motto: Das Pferd bremst die Kutsche, nicht umgekehrt.“ Eine Bremse hat der Oldie aber auch, in Gestalt eines Hebels auf der linken Seite.

Zurück zur Jungfernfahrt: „Ausprobieren wollten wir das im nahen Gewerbegebiet Tempelshof“, erinnert sich Velling. Mit seinen theoretischen Kenntnissen setzte er sich hinters Steuer, um dorthin zu fahren. „Ich bin mit meinem Auto mit Warnblinkanlage hinterher gefahren“, erzählt Petra Velling. Alles klappte, anschließend starteten beide durch zur ersten Spritztour am Niederrhein.

Die Tin Lizzy ist das ganze Jahr über im Einsatz. Ob zum Einkauf oder eben zum Ausflug. Bis zu 70 Stundenkilometer schafft das Drei-Liter-Aggregat, das sagenhafte 20 PS auf die Straße bringt. „Aber 50 km/h ist eine gute Geschwindigkeit, darüber hinaus wird’s ungemütlich“ — da sind sich beide einig. Und nicht zuletzt habe das Ganze auch mit Entschleunigung zu tun. Dabei sind die Rollen ebenso klassisch wie klar verteilt: Michael Velling fährt, seine Frau wird gefahren.

Ein optischer Knaller ist zudem ein Zubehör, das immer wieder für Aufsehen sorgt: Ein originalgetreuer Anhänger, den Michael Velling selbst gebaut hat. Mit einer ebenso originalen Vorderachse des Ford T.

Organisiert sind die St. Töniser Autoliebhaber auch: Sie sind Mitglied in einem niederländischen Ford-T-Club. Mittlerweile ist Michael Velling für die Tin Lizzy Typ-Referent für Ford Deutschland. Hierzulande gibt es lediglich im Süden einen Verein. Zu weit weg, um sich mal spontan zu treffen.

Ganz spannend: Wie regelt man die Hauptuntersuchung? Velling hat’s ausprobiert. Ohne Anmeldung fuhr er zur Dekra nach St. Tönis. „Ich sah schon, dass der dortige Kollege die Farbe wechselte, als er mich noch nicht erkannt hatte.“ Um hinterher zu schieben: „Ein solches Auto prüfen Sie immer mit dem Kunden gemeinsam. Das geht nicht anders.“

Und die Pläne für die nahe Zukunft? Vellings planen eine Tour nach Münster, mit Zwischenübernachtung in Bocholt. Geleitet werden sie über entsprechende Nebenstrecken von einem Motorrad-Navi. Dieses Teil wird ganz dezent im Innenraum aufgesteckt. Schon um die „historische“ Atmosphäre nicht zu stören.