Neues Buch beleuchtet die Zeit von 1945 bis 2020 in Willich Kommunalpolitik „war knallhart, aber immer zum Wohle der Bevölkerung“

Willich · Die „Willicher Verhältnisse“ waren Mitte der 1980er-Jahre berüchtigt – denn der Ton in der Kommunalpolitik war rau. Ein neues Buch beleuchtet jetzt die Zeit von 1945 bis 2020.

 Drei Jahre haben die Heimat- und Geschichtsfreunde an dem Buch gearbeitet.

Drei Jahre haben die Heimat- und Geschichtsfreunde an dem Buch gearbeitet.

Foto: Norbert Prümen

Die „Willicher Verhältnisse“ Mitte der 1980er-Jahre – der teils heftige Streit der Parteien in der Stadt – sind berüchtigt. Andererseits hat ein breiter Konsens der „wirklich demokratischen Parteien“ zu deren Überwindung beigetragen und „auch seinen Beitrag dazu geleistet, dass extremistische Parteien hier zu keinem Zeitpunkt einen Nährboden fanden“, schreibt Bürgermeister Christian Pakusch (CDU) in seinem Vorwort: Die Heimat- und Geschichtsfreunde Willich haben ein neues Buch zur Geschichte der Kommunalpolitik vorgestellt. Auf rund 300 Seiten schildern die Autoren Hans-Joachim Donath, Paul Schrömbges, Bernd-Dieter Röhrscheid, Klaus Behrla/Patrick Pass sowie Maximilian Stascheit jeweils einen Zeitabschnitt der Willicher Kommunalpolitik seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs.

Bei der Vorstellung des Buchs in der Motte von Schloss Neersen lobte Projektleiter Ernst Kuhlen die dreijährige Arbeit aller Beteiligten und fasste das Ergebnis so zusammen: Kommunalpolitik „war knallhart, aber immer zum Wohle der Bevölkerung“. Das Buch werde lange Bestand haben und sei auch wichtig für die Familien, die oft auf Vater oder Mutter verzichtet hätten.

Anschließend gaben alle Autoren einen Einblick in ihre Arbeit und deren Ergebnisse. Hans-Joachim Donath beschreibt die Zeit nach dem „Dritten Reich“ und wie sich die Tatsache, dass Willich unter britischer Militärregierung stand, ausgewirkt hatte. Die Mitglieder der Gemeinderäte seien nicht gewählt, sondern von den Briten bestimmt worden. Es habe kaum Frauen in den ersten Räten gegeben, obwohl sie die Mehrheit in der Bevölkerung waren. Er zitiert eine Beratung im damaligen Parlamentarischen Rat, nach der sich Frauen wieder in eine „patriarchalische Gesellschaft“ einzugliedern hatten: Sie durften kein Bankkonto eröffnen, keinen Arbeitsvertrag unterzeichnen, und in Familienangelegenheiten habe stets der Ehemann das letzte Wort gehabt. Erst mit der Verabschiedung des Grundgesetzes erkämpften vier Frauen im Parlamentarischen Rat die Gleichberechtigung.

In den Anfängen der Gemeinderäte habe es kaum parteipolitische Auseinandersetzungen gegeben. Die Räte hätten die großen Probleme der Nachkriegszeit wie Infrastruktur-Aufbau, Beseitigung des Hungers, Wohnungsnot bearbeitet, aber auch die Straßenbenennungen der Vorjahre überprüft: „Nationalsozialistisch geprägte Namen sollten so schnell wie möglich ersetzt werden“, so Donath.

Paul Schrömbges stellt in seinem Untersuchungszeitraum (1948 bis 1969) unter anderem dar, wie sich die Parteienlandschaft entwickelt hat: Das Zentrum habe immer mehr Mandate verloren, die KPD (Kommunistische Partei Deutschlands) sei bis zu ihrem Verbot nur in Willich vertreten gewesen, oder die FDP sei erst 1952 zu den Gemeindewahlen angetreten.

Erst 1975 zogen die ersten Frauen in den Willicher Stadtrat ein

Bernd-Dieter Röhrscheid hat die Zeit ab Dezember 1969 untersucht – damals hatte der NRW-Landtag das Gesetz zur Neuordnung des Kreises Kempen-Viersen verabschiedet, und die heutige Stadt Willich entstand. Es sei aber auch so gewesen, dass im neuen Stadtrat „jeder den eigenen Kirchturm“ im Kopf gehabt habe. Erst 1975 zogen mit Käthe Franke (CDU), Christel Timmermanns (CDU), Helga Zobel (FDP) und Barbara Weiler (SPD) erstmals Frauen in den Rat ein.

Mit der Kommunalwahl 1984 zog eine neue Partei in den Rat ein – die Grünen mit einem sofort zweistelligen Ergebnis. Klaus Behrla und Patrick Pass beschäftigten sich mit Themen der Zeit bis 1995 – wie dem „Donnerstag der langen Messer“ (Verkauf der Sparkasse Willich an die Sparkasse Krefeld), der Einführung der Gesamtschule oder der Wahl von Lukas Siebenkotten (SPD) zum ersten hauptamtlichen Bürgermeister, die auch Thema zu Beginn des letzten Abschnitts von Autor Maximilian Stascheit ist.

Insgesamt gesehen lebt das Buch „Willicher Verhältnisse“ von seiner anschaulichen Darstellung, den vielen Geschichten und den Bildern, die die Erinnerung wachrufen. Es zeigt auch, dass es wichtig ist, sich in der Kommunalpolitik zu engagieren, denn die Entscheidungen der vergangenen Jahrzehnte im Rat wirken sich bis heute aus – für jeden Willicher und in jedem Alter.