Überblick Massenhafter Missbrauch in NRW - Was wir wissen und was nicht
Bergisch Gladbach/Köln · Der Fall bringt Ermittler an Grenzen: Etliche Männer sollen ihre Kinder missbraucht, die Bilder und Videos davon dann Tausenden anderen gezeigt haben. Die tatsächlichen Dimensionen der Verbrechen sind bislang nur zu erahnen.
Der Kinderporno-Fall von Bergisch Gladbach zieht fast mit jedem Tag größere Kreise. Mehrere Männer sollen Kinder schwer sexuell missbraucht haben - die meisten davon ihre eigenen oder Stiefkinder. Fotos und Videos von diesen Taten teilten sie offensichtlich in Chat-Gruppen mit Tausenden. Ein Überblick über den Stand der Erkenntnisse.
WAS WIR WISSEN
DIE TÄTER: Die bislang Festgenommenen stammen fast alle aus NRW, lediglich einer kommt aus Hessen. Als Zentrum der Fälle gilt Bergisch Gladbach, da dort in der Wohnung eines 42-jährigen Familienvaters bei Durchsuchungen große Datenmengen sichergestellt wurden. Insbesondere durch die Auswertung seines Smartphones ergaben sich Hinweise auf weitere Täter. Die Verdächtigen, unter anderem aus Wesel, Krefeld und Lünen bei Dortmund, sitzen mittlerweile alle in Untersuchungshaft.
DIE TATEN: Die Männer sollen ihre Kinder oder Stiefkinder teilweise schwer sexuell missbraucht und Fotos und Videos davon in Chat-Gruppen mit bis zu 1800 Mitgliedern verbreitet haben. „Wie perfide die Taten im Einzelnen sind, zeigt sich daran, was wir sichergestellt haben“, sagte der Kölner Polizeipräsident Uwe Jacob bei einer Pressekonferenz - darunter seien Sexspielzeug, Fesselwerkzeug und Liebesbriefe in Kinderhandschrift. Mindestens zwei Verdächtige sollen ihre Kinder laut Staatsanwaltschaft auch zum Missbrauch ausgetauscht haben.
DIE OPFER: Bislang bekannt sind mindestens zwölf geschädigte Kinder in NRW und eines in Hessen. Das jüngste Opfer ist noch nicht einmal ein Jahr alt, das älteste elf. Die meisten sollen von ihren eigenen Vätern oder Stiefvätern missbraucht worden sein. Man gehe von weiteren Opfern aus, sagten die Ermittler.
DIE ERMITTLUNGEN: Der Fall stellt die Ermittler vor eine Mammutaufgabe: Zehn Terabyte an Daten sind sichergestellt worden, teilweise mit „beweiserheblichem, kinderpornografischen Material“. Im ganzen Land sind mittlerweile rund 250 Beamte im Schichtdienst damit beschäftigt, das Material zu sichten. „Wir stehen immer noch ganz am Anfang“, sagte ein Polizeisprecher am Montag.“ Die Sichtung der entsetzlichen Fotos und Videos sei auch für die Ermittler psychisch sehr belastend, deshalb hat die Kölner Polizei eine spezielle Betreuungsstelle für sie eingerichtet. Parallel laufen im Wohnhaus eines Festgenommenen in Alsdorf nahe Aachen Durchsuchungen, die voraussichtlich noch mehrere Tage dauern sollen. „Das Anwesen ist in einem recht unordentlichen Zustand“, sagte der Kölner Staatsanwalt Ulrich Bremer. Das mache die Ermittlungen besonders aufwendig.
WAS WIR NICHT WISSEN
DAS AUSMASS: Welche Kreise der Fall noch ziehen wird, lässt sich nur erahnen. Die Polizei hatte mehrfach betont, dass unbekannte Täter nach wie vor aktiv sein könnten. Es sei zu erwarten, dass die Ermittlungen auf andere Bundesländer und möglicherweise bis ins Ausland ausgeweitet würden. „Wir sehen immer nur die Spitze des Eisbergs“, sagte Polizei-Seelsorger Dietrich Bredt-Dehnen bereits in der vergangenen Woche.
DIE VERNETZUNG: Wie sich die Mitglieder der riesigen Chat-Gruppen vernetzt hätten, sei noch völlig unklar, hieß es von der Staatsanwaltschaft. Bredt-Dehnen, der bereits viele Kinderporno-Ermittlungen begleitet hat, erklärt die übliche Vernetzung der Szene wie folgt: Nicht nur im Darknet, sondern auch im frei zugänglichen Internet gebe es Foren, die auf den ersten Blick gar nichts mit Kinderpornografie zu tun hätten, sondern etwa harmlose Bilder von Kindern beim Turnen oder Schwimmwettbewerben zeigten. Mit entsprechenden Formulierungen verständige sich die Szene untereinander, erkenne sich und vernetze sich dann auf anderen Wegen.
DIE ROLLE DER BEHÖRDEN: Unklar ist auch, ob die Behörden den Verdächtigen bereits früher auf die Schliche hätten kommen können. Einer der mutmaßlichen Täter aus Wesel sei bereits im Juni wegen Missbrauchs ins Visier geraten, hat die „Rheinische Post“ am Freitag berichtet. Nach einem umfassenden Geständnis des Verdächtigen sei damals ein Kontaktverbot für den Mann verhängt worden, hieß es von der Staatsanwaltschaft Kleve auf Anfrage. Zu diesem Zeitpunkt habe es jedoch noch keine Hinweise auf schweren Missbrauch oder die Verbreitung von Kinderpornos in Chats gegeben.