Das Schützenfest hatte es in sich
Vom Mönchengladbacher Stadtschützenfest gibt es viele Geschichten und Anekdoten zu erzählen.
Mönchengladbach. So viel Brauchtum war noch nie beim Stadtschützenfest. Und das nicht nur, weil das noch amtierende Prinzenpaar Andrea und Markus Hardenack und das zukünftige Janie und Peter Homann dabei waren und wie alle anderen den vollkommen neu frisierten Chef der Gladbacher Prinzengarde Horst Trumm nicht erkannten (Bart ab, Haare grau statt schwarz). Auch die Heiligen Drei Könige können seit gestern Sommerbrauchtum. Paul (8) und Konrad Joeris (11) sowie Tom Kremer (8) zogen als die Waisen aus dem Morgenlande mit und sammelten für die Tafel. Die Kutsche, auf der sie saßen, erntete die meisten Ahs und Ohs: Es war nämlich eine Ponykutsche.
Da ja Kaiser Barbarossa letztlich auch fester Bestandteil des deutschen Brauchtums ist, haben ihn sich die Schützen gleich mit einverleibt. So gut wie Michael Schroeren kann Barbarossa in echt gar nicht ausgesehen haben. Nicht nur Bart und die Kopfbedeckung des verkleidungsfreudigen Bürgermeisters wurden zu recht bestaunt. Auch der Reichsapfel, den Schroeren bei sich trug, war à la bonheur.
Doch vor lauter falschem Kaiser und kleinen Königen war klar, um welchen König es bei diesem Fest geht. Der Kleinenbroicher Gerüstbauer Reimund Schmitz kam beim Schießen auf dem Kapuzinerplatz am Samstag auf höchst kuriose Weise zu seinem Amt. Erst war der Vogel über eineinhalb Stunden gänzlich unbeeindruckt von dem ganzen Blei, das ihm uns Gefieder pfiff. Dann drehte Schmitz nach dem 192. Schuss ab, steckte sich eine Zigarette an — und wunderte sich über den Jubel.
Der Vogel war wie von Geisterhand etliche Sekunden nach dem Schuss von Schmitz heruntergesegelt, und der neue Bezirkskönig der Sebastianer aus Kleinenbroich brauchte eine Weile, bis er begriff, was da passiert war. Erste Gratulantin war Frau Andrea. Sie sagte: „Ich hatte es befürchtet“ — und war entsprechend vorbereitet: Sie war am Morgen beim Friseur gewesen und hatte ihr Kleid für alle Fälle aufgebügelt. Als Minister begleiten Schmitz durch das Schützenjahr Walter Dunkel aus Ohler und Markus Bollendonk aus Dahl.
Bei der Parade zogen 2500 Schützen und Musiker durch die Gladbacher Innenstadt, darunter auch der 17-jährige mexikanische Austauschschüler Jorge Lopez, der zur Zeit in Hardt lebt. Die Zuschauer hatten viel Spaß an den Scharmützeln auf der Ehrentribüne zwischen General Lothar Erbers und Oberbürgermeister Hans Wilhelm Reiners und Heinz-Josef Katz, der den Zapfenstreich befehligte und Horst Thoren, der sein Versprechen, Katz nicht zu unterbrechen, nur bedingt einhielt.
Die Parade zeigte, dass man sich um die Zukunft des Schützenwesens keine Sorgen zu machen braucht. So viele Kinder, aber auch Jugendliche und junge Erwachsene hat man selten mitmarschieren sehen. Vielleicht auch, weil die Schützen den Rat aus der Predigt von Regionaldekan Ulrich Clancett bei der Krönungsmesse beherzigen: In seiner Predigt rief er die Schützen zu mehr Offenheit auf. „Tradition ist gut, aber man darf sich nicht die Ohren verstopfen gegen jeden Rat“, sagte Clancett. Die Schützen müssten bereit sein, neue Wege zu gehen. Dass er und der neue Bezirkskönig Autos mit dem Kennzeichen „NE“ fahren, sei ein erster Schritt, um den Blickwinkel der Gladbacher zu weiten. Dass die Schützen durchaus offen für Neues sind, zeigten sie beim Auszug aus dem Münster. Da spielte die Bigband St. Barbara Neuwerk „Oh happy day“.
Besonders putzig waren bei der Parade auch sechs kleine Matrosen aus Wanlo und die zehn Kinder, die bei der St.-Apollinaris-Bruderschaft Hardterbroich mitzogen. Die Speicker Kittys, eine Damengruppe des Bürgerschützenvereins St. Hermann-Josef Speick, kam ganz in Pink — vom Dirndl bis zum Regenschirm. Und die Damen aus Günhoven marschierten in ihren Klompen auf.
Sichtlich Freude an dem Treiben hatten unter anderem Box-Weltmeisterin Ina Menzer, Borussia-Präsident Rolf Königs, der direkt nach der Parade zum Länderspiel nach Dortmund fuhr und die beiden Bundestagsabgeordneten Günter Krings und Gülistan Yüksel. Auch Ex-Oberbürgermeister Norbert Bude verfolgte die Parade, im grünen Schützenrock. Geschätzte 30 000 Besucher kamen über das Wochenende verteilt. Sie machten nur an einer Stelle teilweise schlapp. Beim Text der Europahymne, die erstmals die Parade beschloss.