„Die Gesellschaft schweigt das Thema Aids immer noch tot“

Der Gladbacher Alexander Marschner ist als Sozialarbeiter in der Aids-Hilfe tätig. Dort muss er Mut machen und Perspektiven zeigen.

Foto: Aids-Hilfe

Mönchengladbach. Alexander Marschner aus Mönchengladbach arbeitet neben dem Studium der Sozialen Arbeit hauptamtlich bei der Aids-Hilfe Mönchengladbach-Rheydt. Im WZ-Interview spricht der 23-Jährige über seine Tätigkeit, Reaktionen und Vorurteile.

Welche Aufgaben gehören zu Ihrem Aufgabenbereich?

Alexander Marschner: Während unserer Öffnungszeiten bin ich in der Telefon- und E-Mail-Beratung tätig, außerdem kümmere ich mich um den Bereich Schwul-Lesbisch-Bi-Trans. Dieser Bereich umfasst die Coming-Out-Beratung. Darüber hinaus organisiere ich als Ko-Koordinator Termine und Veranstaltungen unserer Aufklärungsgruppe „SchLAu“.

Wie sind die Reaktionen von den Menschen, mit denen Sie zum Thema HIV/Aids in Kontakt treten?

Marschner: Die Reaktionen sind durch die Aufklärungsarbeit, die wir lokal leisten, und durch die großangelegten Kampagnen der Deutschen Aids-Hilfe positiver geworden. Allerdings hat der Abbau von Stigmata von Betroffenen mit HIV/Aids auch immer etwas mit Bildung bzw. Aufklärung zu tun. Wir besuchen alle Schulformen in Mönchengladbach und bieten Workshops zu den Themen „Liebe, Beziehung und Sexualität“ an.

Wie sind Sie zur Aids-Hilfe gekommen und was motiviert Sie an Ihrer Arbeit?

Marschner: Ich habe während des Studiums einige Arbeitsfelder der Sozialen Arbeit ausprobiert, von der Seniorenbetreuung bis hin zur Betreuung von Menschen mit Behinderung. Die Arbeit der Aids-Hilfe habe ich schon zu Schulzeiten sehr geschätzt.

Wie reagieren Sie, wenn jemand zu Ihnen sagt: „Ich bin HIV-positiv“?

Marschner: Es sind natürlich immer individuelle Schicksalsschläge und den Betroffenen geht es gerade in der Zeit der Diagnose emotional und psychisch nicht gut. Meine Aufgabe als professioneller Sozialarbeiter ist es, sie in der drastisch veränderten Lebenssituation zu begleiten, ihnen Mut zu machen, ihnen ihre Möglichkeiten zu zeigen und sie individuell und adäquat zu beraten.

Können Sie sich erklären, warum in unserer heutigen Gesellschaft das Thema HIV und Aids immer noch ein Tabu-Thema ist?

Marschner: Wenn man auf die neuen Infektionszahlen schaut, stellt man fest, dass sich die meisten Menschen über den Geschlechtsverkehr infizieren. Sexualität ist ein privates und intimes Thema. In unserer Gesellschaft wird dieses Thema immer noch totgeschwiegen.

Besteht in der Beratungsstelle auch die Möglichkeit, sich anonym testen zu lassen?

Marschner: Für die Durchführung eines Tests wird medizinisches Fachpersonal benötigt, welches wir in der Aids-Hilfe nicht haben. Wir arbeiten sehr eng mit dem Gesundheitsamt zusammen und empfehlen auch jedem, den Test erst einmal im Gesundheitsamt machen zu lassen. Dort ist er anonym und kostenlos.

Fällt es einem Menschen, der selber homosexuell ist, leichter, sich mit Ratsuchenden der Beratungsstelle zu identifizieren?

Marschner: Wir beraten Homosexuelle und Heterosexuelle gleichermaßen, was die Anzahl der Ratsuchenden anbelangt. Die sexuelle Identität steht dabei nicht im Vordergrund. Ich gehe ganz neutral mit neuen Ratsuchenden um, die sexuelle Identität ist ja niemandem auf die Stirn geschrieben. Bei der Coming-Out-Beratung habe ich natürlich einen klaren Vorteil gegenüber meinen heterosexuellen Arbeitskollegen und Arbeitskolleginnen.

Sie gehen auch in Schulen und machen dort Seminare zur sexuellen Aufklärung bezüglich der richtigen und sicheren Verhütung. Läuft das sachlich und fachlich ab oder ziehen die Schülerinnen und Schüler dies eher ins Lächerliche?

Marschner: Für pubertierende Jugendliche ist das Thema Sexualität immer besonders spannend, da sie sich ja gerade in dieser „chaotischen“ Entwicklungsstufe befinden, in der sich der Körper und das Denken radikal verändern. Die zu transportierenden Inhalte werden immer der jeweiligen Gruppe individuell angepasst. Wir ermutigen die Jugendlichen in Gruppenarbeiten zur aktiven Mitgestaltung des Workshops. Bei den Workshops darf gelacht werden und die Jugendlichen sollen sich frei fühlen, all ihre Fragen rund um das Thema zu stellen.