Gas-Unfall: Menschen liegen auf der Straße und Vögel fallen tot vom Himmel
Gespenstische Szenen nach dem Gas-Unfall in Güdderath, der 107 Verletzte fordert: Autos gehen auf einmal aus und Vögel fallen tot vom Himmel. 500 Retter waren im Einsatz.
Mönchengladbach. Im Umkreis von zwei Kilometern um den Klosterhofweg 64 in Güdderath ist alles abgesperrt. "Dort herrscht absolute Lebensgefahr", sagt Feuerwehr-Chef Jörg Lampe am Samstagmorgen.
Um 6.10 Uhr schrillt bei der Berufsfeuerwehr die Brandmeldeanlage des Lackbetriebs Dyrup. Sofort setzt die Feuerwehr Löschfahrzeuge in Bewegung. Doch die Retter haben die Brandstelle noch nicht erreicht, da werden sie selbst zu Opfern.
"Die Motoren der Einsatzfahrzeuge gingen plötzlich aus", berichtet Lampe. Als die Männer aus den Wagen springen, wird ihnen schwarz vor Augen. Sechs werden bewusstlos. Die Folge von Kohlendioxid. Das Gas entzieht Sauerstoff. "Nach dem Feuer war das CO2 durch einen technischen Defekt in einer Löschanlage unkontrolliert frei geworden", so Lampe. Schnell ist klar, dass ein ganzer Stadtteil in Gefahr ist.
"Wir haben dann Großalarm ausgelöst", so Lampe. Alle Mönchengladbacher Retter sind aufgefordert, in den Einsatz zu gehen. Immer mehr Verletzte sind zu beklagen, die Situation droht zu eskalieren: "Da wir nicht genug Rettungswagen haben, um alle Opfer zeitnah in Krankenhäuser zu transportieren, haben wir die umliegenden Städte alarmiert, uns ihre Rettungswagen zu schicken."
Minuten später zuckt überall Blaulicht durch die Stadt, Martinshörner sind allenthalben zu hören. Die Polizei setzt die die eigene Hundertschaft in Bewegung und ruft auch die Hundertschaft aus Wuppertal zur Hilfe - zu viele Straßen sind abzusperren, Bewohner zu evakuieren.
Anwohner, die zur Unfallsammelstelle an die Tankstelle unweit der Autobahnanschlussstelle Güdderath gebracht werden, berichten von gespenstischen Dingen. "Da fuhr eine Rollerfahrerin vorbei, die ist einfach von der Maschine gekippt, das Fahrzeug rollte dann ohne sie weiter", erzählt Jürgen Wolf.
"In meinem Garten", berichtet Brigitte Wondratschek, "ringt eine junge Amsel nach Luft, fällt immer wieder zu Boden." Als die Durchsage der Feuerwehr kommt, dass die Türen und Fenster geschlossen werden müssen und die Menschen in den oberen Etagen der Häuser bleiben sollen, geht die 77-Jährige in den Souterrain, um das Fenster dort zu schließen. Ihr wird prompt schwindelig. Ihre Söhne ziehen sie verzweifelt die Treppe hoch.
Druckereibesitzer Rolf Karten sucht derweil noch nach seinen Angestellten. "Die haben gearbeitet, haben mich angerufen." Er findet sie, teilweise noch geschockt, in der Cafeteria eines Getränkehändlers. Sie mussten mit ansehen, wie zwei junge Männer auf der Straße zusammenbrachen.
Gegen Nachmittag trifft Dyrup-Geschäftsführer Jürgen David an der Unglücksstelle ein: "Es tut mir unendlich leid, dass durch unsere Firma Menschen zu Schaden gekommen sind. Meine Gedanken sind bei den Opfern", so David, der seinen Urlaub an der Mosel abbrach.
Innenminister Ingo Wolf (SPD) ließ sich am Nachmittag von OB Norbert Bude die Unfallstelle zeigen und über das Drama unterrichten. Er lobte ausdrücklich den Einsatz aller Rettungskräfte und der Polizei. "Sie haben hervorragend zusammengearbeitet und einen größeren Schaden verhindert."
Am Samstagabend nahmen die Polizeiermittler ihre Arbeit auf. "Die Unfallursache ist noch unklar", sagt Polizist Michael Götze. "Wir können auch Brandstiftung nicht ausschließen." Der Betrieb in der Firma, in der zum Unfallzeitpunkt nicht gearbeitet wurde, soll jedoch heute weiter gehen.