Mönchengladbach: „Plötzlich ist die Luft weg“ - Gas-Alptraum nach Unfall in Lacklager

Abgesperrte Häuser, mehr 150 Menschen in Notzelten, Hubschrauber, die über der gefährlichen Gaswolke kreisen - die eher beschauliche niederrheinische Stadt Mönchengladbach erlebte am Samstag nach dem Austritt von großen Mengen Kohlendioxid aus einer Lack-Lagerhalle einen Alptraum.

Mönchengladbach. 107 Menschen mussten am Samstag rund um das Lagerim Gewerbegebiet Güdderath wegen Atembeschwerden, Übelkeit undSchwindel behandelt werden. Mindestens sechs wurden ohnmächtig. 19Menschen kamen in Krankenhäuser, ein Feuerwehrmann sogar auf dieIntensivstation. Kohlendioxid ist in kleinen Dosen ungefährlich undsogar in der Atemluft vorhanden. Höher konzentriert wird es zum farb-und geruchlosen Gift, das töten kann.

Ein kleines Feuer in einer Kiste mit Sägespänen hatte gegen 6.10 Uhrden Großeinsatz ausgelöst. Nach Angaben von Feuerwehr und Polizeisprang die Feuerlöschanlage sofort an - sie versprüht CO2 und entziehtso dem Feuer den Sauerstoff. Offenbar durch einen technischen Defektschaltete sich die Anlage nach dem Löschen aber nicht wieder ab,sondern versprühte Gas in viel zu großer Menge; der CO2-Tank wurde fastvöllig geleert.

Dann gelangte das gefährliche CO2 auf noch ungeklärteWeise nach draußen. Möglicherweise war eine Hallentür offen, dienormalerweise bei Löscheinsätzen geschlossen sein muss. Klappen in derHallendecke, durch die das Gas normalerweise kontrolliert nach obenentweicht, hätten geklemmt, heisst es. Näheres müssen Fachleute klären.

Jedenfalls liegt eine dichte Gaswolke über der Fabrik. Da es an demMorgen völlig windstill ist, wird sie nicht verweht. Außerdem liegt dieAnlage in einer Senke, in der sich das schwere Gas sammelt wie in einemtiefen Teller. „Plötzlich hat unsere Labrador-Hündin Laika gebellt undist nervös auf und ab gesprungen“, berichtet Anwohner Michael Feldges.

Als er mit dem Tier 'rausgeht, wankt der Hund. Da dreht Feldges auf demAbsatz um, packt seine zehn und zwölf Jahre alten Kinder und flieht wegvon der Fabrik in Sicherheit. Ein anderer Anwohner beobachtet um kurznach sieben Uhr zwei junge Männer, die vor seinem Fenster lautstark mitdem Handy telefonieren. Als er das nächste Mal rausschaut, liegen siebenommen am Boden.

So dicht ist das Gas, dass die Motoren der ersten Feuerwehr- Fahrzeugebeim Einfahren in die Wolke wegen Sauerstoffmangels ausgehen. DreiFeuerwehrleute steigen ahnungslos ohne Atemschutz aus, sie denken zudem Zeitpunkt noch an einen gewöhnlichen Brandeinsatz. Die drei fallensofort in Ohnmacht, berichtet Feuerwehrchef Jörg Lampe.

DieselbeErfahrung macht Bauarbeiter Bernd Wintzen, der mit seinem Lastwagendurch das Gewerbegebiet kommt. „Als der Motor ausgeht, steige ich aus.Plötzlich ist die Luft weg, die Lunge zieht sich zusammen.“ Wintzenbricht zusammen und wacht erst im Sauerstoffzelt wieder auf.

Sobald die Dimension des Unfalls klar war, lösten die BehördenGroßalarm aus. Rund 480 Einsatzkräfte von Feuerwehr, Polizei, RotemKreuz, Johannitern und Maltesern waren nach kurzer Zeit am Einsatzort,der im Umkreis von zwei Kilometern abgesperrt wurde.

Die Anwohner der50 Häuser neben der Fabrik wurden in Sicherheit gebracht. InNotfallzelten wurden sie untersucht, danach bekam jeder einePlastikkarte um den Hals gehängt: Rot steht für „Einlieferung insKrankenhaus“, gelb für „leicht verletzt“, grün für gesund. SchwarzeKarten für Tote kamen zum Glück nicht zum Einsatz.

Am Mittag lösten zwei Hubschrauber mit dem Wind ihrer Rotoren dieGaswolke auf. Die Rettungskräfte gingen von Haus zu Haus, lüfteten dieKeller und Untergeschosse, damit sich dort kein Gas festsetzten konnte.Am frühen Abend konnten alle Anwohner wieder in die Häuser. Eine ruhigeNacht verbrachten sie dort aber sicher nicht.