Immer weniger Zeugen melden sich bei der Polizei

Der Grund seien Desinteresse und Angst, glaubt die Behörde.

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Mönchengladbach. Am helllichten Tag wird die Seitenscheibe eines Wagens eingeschlagen. Und keiner hat’s gesehen? Jemand packt einen an der Straße geparkten Motorroller in den Kofferraum. Sprayer toben sich stundenlang an einer Wand mitten in der Stadt aus. Und es gibt keine Zeugen? Das sei kaum zu glauben, erzählt Jürgen Lützen, Pressesprecher der Polizei Mönchengladbach. Ihm falle seit Jahren auf, dass immer weniger Menschen bereit sind, der Polizei als Zeugen zu helfen. „Schließlich passiert ja vieles, was wir bearbeiten, am Tag. Das müsste doch jemand mitbekommen“, sagt er.

Jüngstes Beispiel: Anfang dieser Woche raubte ein bislang Unbekannter einem Jugendlichen das iPhone und verpasste ihm mehrere Faustschläge. Der Vorfall ereignete sich auf der Stresemannstraße gegen 18 Uhr. Bisher ging bei der Polizei zu dieser Tat kein einziger Hinweis ein. Verwunderlich sei das, so Jürgen Lützen. „Dass die Stresemannstraße zu diesem Zeitpunkt menschenleer war, ist ziemlich unwahrscheinlich.“

Es sei zu einem großen Teil ein gesellschaftliches Problem. „Jeder sieht sich nur noch als für sich selbst verantwortlich“, vermutet Lützen. Was viele nicht sähen, am Ende könne es genau sie treffen. „Bei unseren Fällen geht es oft um Serientäter. Jeder Hinweis, den jemand nicht gibt, kann bedeuten, dass der Täter am Ende bei ihm zuschlägt.“

Dass es immer häufiger an Zivilcourage mangelt, wenn Menschen Opfer von Straftaten werden, ist bekannt. Dass, wenn etwas passiert ist, hinterher immer weniger bereit sind, sich der Polizei als Zeugen zur Verfügung zu stellen, ist eine weitere Entwicklung. Der Trend wird auch von vielen seiner Kollegen bestätigt, sagt Lützen. Die Entwicklung ließe sich auch bei Fällen von Körperverletzung, Brandstiftung und Kapitaldelikten feststellen. „Ebenso häufig kommt das bei Unfallfluchten vor“, sagt Lützen. „Da suchen wir immer wieder nach Zeugen und in den wenigsten Fällen findet sich jemand.“

Ausreden und fragwürdige Begründungen hören die Beamten viele. Entweder wird gesagt: „Aber der Nachbar hat es doch auch gesehen, ich dachte, der hätte sich gemeldet.“ Oder nach dem Motto: „Was hab’ ich damit zu tun? Ist mir egal. Ich hab’ keine Zeit für so was.“

Lützen betont, dass es „nur eine halbe Stunde dauert, wenn wir zum Beispiel Bilder von Verdächtigen vorlegen“. Und man gehe bei Terminen auf die Wünsche der Zeugen ein. Aber häufig sei es so, dass Menschen, die als Zeugen ermittelt wurden, sich auf den Brief der Polizei — die sogenannte Ladung — nicht melden.

Menschen, die Angst hätten vor Repressalien durch die Täter, sollten laut Lützens wissen, dass „wir mit ihrem Namen nicht hausieren gehen“.

Aktuell ist die Gladbacher Polizei in einem weiteren Fall aktiv und hofft auf die Unterstützung und Hilfe von Zeugen. Am Mittwochmittag kam es zu einem weiteren Raub auf der Stresemannstraße. Dieses Mal war eine 71-jährige Frau das Opfer. Ihr wurde von einem etwa 1,80 Meter großen, ungepflegten Mann mit kurzen, dunkelblonden Haaren ein Stoffbeutel entrissen. Damit flüchtete der Mann Richtung Marktstraße.