Rheindahlen: Warum hat Polizei nicht Jugendamt informiert?
Zwei Tage vor der Messerattacke beantragte das Ehepaar selbst Hilfe zur Erziehung ihrer Tochter (12). Ein Sohn wurde in den 90er Jahren vom Amt aus der Familie genommen.
Mönchengladbach. Angesichts der Gewalttat in Rheindahlen, bei der der 14-jährige Sohn des Täters schwer verletzt wurde, haben die Bündnis-Grünen diverse Fragen an den Polizeipräsidenten Hans-Hermann Tirre zur Zusammenarbeit von Polizei und Jugendamt gestellt.
Die Behörde selbst habe im Zusammenhang mit dem Totschlag kommuniziert, dass es mehrfach Einsätze wegen Auseinandersetzungen in der Familie gegeben habe. Unter anderem hätten sich Nachbarn beschwert.
Wenn die Polizei mehrfach in der Familie gewesen sei, müsse ihr das „Vorhandensein von zwei minderjährigen Kindern (12 und 14) bekannt gewesen sein“, so die grüne Ratsfraktion. Die Frage sei nun, ob bei den Gründen für die Polizeieinsätze der Anfangsverdacht einer Kindeswohlgefährdung vorgelegen habe.
Dieser habe zu keiner Zeit bestanden, sagt Polizeisprecher Jürgen Lützen auf Nachfrage der WZ. „Es gab zwar mehrere Einsätze der Polizei bei der Familie, allerdings hat es nie einen Hinweis auf häusliche Gewalt oder Verwahrlosung der Kinder gegeben.“ Die Kollegen seien meist wegen Ruhestörung nach Rheindahlen gerufen worden.
Hätte es einen Verdacht gegeben, dass für die Kinder eine Gefahr bestehe — „was nicht der Fall war“, betont Lützen — wäre das Jugendamt informiert worden.
Das Ehepaar selbst suchte zwei Tage vor der Familientragödie Hilfe beim Jugendamt. Gemeinsam waren sie am 22. Januar zur Bezirksverwaltungsstelle in Rheindahlen gegangen, „um bei der zuständigen Sozialarbeiterin Hilfe zur Erziehung ihrer zwölfjährigen Tochter zu beantragen“, sagt Stadtsprecher Dirk Rütten. „Hilfe zur Erziehung“ bedeute, dass unterschiedlichste Maßnahmen ergriffen werden könnten, erklärt Rütten. Beispielsweise kann das Amt eine Familienhelferin schicken oder ein Anti-Agressionstraining beantragen.
Die Sozialarbeiterin in Rheindahlen erhielt noch während der Beratung Kenntnis über den richterlichen Beschluss, den die Frau gegen den Mann erwirkt hatte — ebenso über die Rücknahme am darauffolgenden Tag. „Sie sprach das Ehepaar auf diesen Beschluss an“, sagt Rütten. Beide — auch die Frau — hätten aber versichert, dass alles wieder in Ordnung sei und dass es in einer Ehe von 25 Jahren auch mal zu Streitigkeiten käme.
In den 90er Jahren gab es bereits Kontakt zwischen der Familie und dem Jugendamt. Das Ehepaar hat insgesamt vier Kinder — der älteste Sohn wurde bis zu seiner Volljährigkeit im Jahr 2005 vom Jugendamt betreut. Er wurde sogar aus der Familie genommen und in mehrere stationäre Einrichtigen gegeben. Bis zu dem Hilferuf des Ehepaars zwei Tage vor der Tat habe es aber keinen Anlass für eine Kontrolle durch das Jugendamt gegeben, sagt der Stadtsprecher.