Zeitzeuge: "Der Krieg hat mich furchtloser gemacht"
Jahrestag: Der Bombenangriff von 1943 jährt sich. Bernhard Scherger hat ihn miterlebt.
Mönchengladbach. An eines kann sich Bernhard Scherger noch ganz genau erinnern: an das Gefühl, dass es nicht mehr schlimmer kommen könnte. "Der Krieg hat mich furchtloser gemacht, fürs gesamte Leben."
Das Leben, es hat Scherger durch viele Stationen geführt. Er war Student, Mönch, später Lehrer und Schriftsteller, er ist mittlerweile 70 Jahre alt, längst in Pension und beschäftigt sich mit theologischen Fragen, liest und schreibt viel. Doch sie haben ihn nie losgelassen, die Bombenangriffe auf Mönchengladbach, den Kriegsalltag, die Sorgen und Ängste seiner Mutter.
Sechs Jahre war Scherger alt, als es zu den schlimmsten, den verheerendsten Angriffen auf die Stadt kam. "Ich kann mich nicht mehr an ein spezielles Datum erinnern, nur daran, welche Verzweifelung in den Tagen nach den Angriffen in der Stadt herrschte."
Für Bernhard Scherger und seine vier Brüder hatten die Kriegsjahre nichts Abenteuerliches. "Wir hatten schon Angst, eine tiefe Bedrückung lag über allen." Vor allem an seiner Mutter erlebte Scherger, wie sich Menschen in Extremsituationen verändern. "Meine Mutter wurde eine richtig starke, selbstständige Frau. Mein Vater war im Krieg, meine Mutter musste plötzlich für alles alleine sorgen."
Das Elternhaus an der Viersener Straße, nahe dem Franziskushaus, verlor in diesen Tagen für Scherger und seine Brüder die Behaglichkeit. Immer wieder hieß es: Runter in den Keller, immer wieder horchten Kinder und Mutter am Volksempfänger, der vor den amerikanischen Angriffen warnte.
Einmal, Bernhard Scherger kann sich nicht mehr an das genaue Datum erinnern, spielten die Kinder im Garten des großen Elternhauses sogar unwissentlich mit ihrem Leben. Die Brüder turnten auf einem fremden Gegenstand herum, der plötzlich im Garten lag, spielten auf ihm Pferd und Reiter. "Als mein kleiner Bruder meiner Mutter später etwas von einem tickenden Pferdchen erzählte, rannte die wie ein Blitz in den Garten", erinnert sich Scherger. Im Garten der Familie lag eine zentnerschwere, tickende Fliegerbombe.
In den letzten beiden Kriegsjahren kehrte die Familie Mönchengladbach den Rücken und kam in Hückelhoven unter. Dort lebten die Großeltern, dort war es - anders als in der Großstadt Gladbach - auch in der Endphase des Krieges relativ ruhig. Nach 1945 ging es aber zurück in die Heimatstadt, zu Fuß. Auch der Vater kam zurück zu Frau und Kindern. "Wiederholter Ungehorsam" hatte ihm Vermerke in der Soldatenakte eingebracht, die die Alliierten positiv werteten.
Der jugendliche Bernhard wandte sich dem Glauben zu, wollte Mönch werden. Auch ein Resultat aus seinen Kriegserlebnissen: "Ich wollte wissen, warum Gott unsere Familie beschützt hat und andere dagegen nicht." Eine Erklärung hat Scherger nicht gefunden, wohl aber die Erkenntnis, dass ihn so schnell nichts mehr schrecken konnte. "Angst habe ich nach dem Krieg nie mehr gehabt."