Jubel für sensible Nabucco-Inszenierung in der Rheinoper Düsseldorf So zerbrechlich kann Freiheit sein
DÜSSELDORF · . Ein Hochhaus bei Abend-Dämmerung. Die Kamera zoomt in einzelne Wohnungen oder kleine Appartements. In einer Etage liebt sich ein Paar, schließt den Vorhang. Daneben streiten zwei andere, und vier Etagen tiefer läuft ein Mann hektisch hin und her, mit dem Telefonhörer am Ohr.
Der Zuschauer der ersten Video-Szenen in der neuen „Nabucco“-Inszenierung im Düsseldorfer Opernhaus kommt sich wie ein Voyeur vor – ähnlich wie einst Fotoreporter Jeff im Hollywood-Streifen „Das Fenster zum Hof“ (mit James Stewart und Grace Kelly). Wenn auch im Kult-Thriller von 1954 Jeff, an den Rollstuhl gefesselt, aus lauter Langeweile die Nachbarn auf der anderen Seite des Innenhofs beobachtet – so langweilt sich das Publikum in der Rheinoper in Ilaria Lanzinos Version nicht eine Sekunde.
Intelligent und konsequent, psychologisch feinnervig und originell bringen die italienische Jung-Regisseurin und ihre Ausstatterin Dorota Caro Karolczak den alttestamentarischen, gewalttätigen Kampf ums Dasein auf die Bretter – zwischen dem siegreichen König Nabucco von Babylon über die Hebräer. Und verleihen ihm einen modern zeitlosen Rahmen. Er begeistert, weil er in beinah allen Szenen zum Nachdenken über aktuelle Parallelen anregt, sie aber dem Zuschauer nicht penetrant aufzwingt. So verzichten Lanzino und Karolczak auf vordergründige, tagespolitische Kriegsbilder aus Ukraine oder Gazastreifen. Stattdessen choreografieren sie geschickt die Chöre durch eine Landschaft von aufgetürmten Trümmern, Barrikaden und lodernden Flammen. Vorbei am Balkon des weißgoldenen Nabucco-Palasts, später ganz tief unten, in einer Art Führer-Bunker. Am Ende: Jubel für alle.
Packend gelingt der Abend, auch weil die Lanzinos Personenregie auf intensives, manchmal flirrendes Psychodrama setzt. Nabuccos Tochter Abigaille hasst die Hebräer – eine eiskalte Tyrannin, die nach Macht giert. Und Menschen offen erpresst. Nur wenn Hebräer-Sohn Ismaele die leidenschaftliche Liebe Abigailles erwidert, ist sie bereit, das Volk der Juden zu schonen. Ansonsten Daumen runter. Ismaele liebt indes inniglich Nabuccos zweite Tochter Fenena. Abigaille, Tochter einer Sklavin, leidet aber unter einem Kindheitstrauma: Sie ist die Tochter einer Sklavin und Nabucco zog Fenena vor.
So blendet die Regie immer wieder Sequenzen traumatischer Erinnerungen aus der Jugend ein – und versucht zu erklären, wie aus dem sich benachteiligt fühlenden Mädchen eine zerstörerische Potentatin werden kann, die über Leichen geht. Krankhaft ehrgeizig und karrieresüchtig lauert sie auf den richtigen Moment, Nabucco als greisen Depp beiseite zu drängen, um mit Hilfe des geschmeidigen Oberpriesters (schmiegsamer, aber starker Bass: Luke Stoke) den Thron Babylons zu besteigen.
Zudem mischen sich Szenen der antiken Royals in Rot-Gold, Blau-Gold oder Gold-Lila mit dem Alltag der Bevölkerung in grauer Kluft. So sieht man, wie plötzlich eine Bombe in eine der gesichtslosen Mietskasernen einschlägt und die Mauern in Brandwolken zusammenkrachen. Überlebende klettern aus den Trümmer-Fenstern. Durch raffiniert installierte Spiegel wird die Zahl der Menschengruppen verdreifacht. Als Soldaten und Kämpfer (der besiegten Juden oder der Babylonier) demonstrieren sie Herrschaftsansprüche beider Seiten – bis zum Schluss – wenn der zuerst wahnsinnige, von Abigaille gefütterte, dann geläuterte Nabucco die allgemeine Freiheit ausruft und Babyloniern befiehlt, nur noch zu dem Gott der Juden, Jehova, zu beten.
Die einst machthungrig, aber geschlagene Abigaille – jetzt an einen Marterpfahl gefesselt – bittet ihren Vater Nebukadnezar und Stiefschwester Fenena um Verzeihung für Verrat und Verbrechen. Manchmal werden Tableaus martialisch, bleiben meist jedoch berührend einfach und direkt, ohne Pomp und Pathos. Das zündet auf allen Rängen. So prasseln am Ende begeisterte Bravorufe auf Regisseurin und Bühnenbildnerin – wie zuvor auf ein bravourös auftrumpfendes Sängerensemble allen voran Alexey Zelenkov, der sich in der Titelrolle steigert, zunächst lyrische Sanftheit an den Tag legt, später jedoch als dramatischer Helden-Bariton in den hohen Registern auftrumpft.
Selten setzt Lanzino großes Kino ein: Der allmächtige König der Babylonier Nabucco erscheint anfangs als Projektion, Darsteller Zelenkov singt mit gütig samtiger Stimme hinter der Bühne. Auf der Palast-Terrasse trumpfen indes Zaccaria, der Hohepriester der Hebräer (Liang Li mit mächtigem, schwarzen Bass-Bariton) auf – genauso wie Eduardo Aladrén als Isamele, Neffe des Königs von Jerusalem: In den Liebesschwüren zu Nabuccos Lieblingstochter Fenena Schmelz verbreitet Aladrén Schmelz und in den Klangfarben stets einen Schuss Italianità. Die Ovationen für Svetlana Kaysan als bösartig intrigante, aber verletzbare Adoptivtochter Abigaille donnern genauso laut wie Kaysans Sopran. So viel Kraft müssen Solisten sonst nur in der Arena von Verona aufbringen.
Jubel dann für einen differenziert klingenden Opernchor (plus Extra-Chor) und für Düsseldorfs Symphoniker, die unter dem neuen Chefdirigenten Vitali Alekseenok der Verdi-Partitur sensible, leise und fein gesponnene Zwischentöne abringen. So auch im berühmten Gefangenenchor „Va, pensiero“ (Flieg, Gedanke). Obwohl die heimluche Hymne Italiens kommt er hier ohne Getöse aus, weht stattdessen vorsichtig, lyrisch und sanft um die Ohren. So zerbrechlich kann Freiheit sein.
Termine: 21., 25., 29. Sept., 3., 6., 12., 20 Okt. Termine bis 25. Dez. Tickets: Tel : 0211/ 89 25 211