Sind wir versehentlich in einen Hörtest geraten? Angespannt in die Stille lauschend, weiß das Ohr zunächst nicht sicher, ob es bereits einen Ton wahrnimmt oder nur der Einbildung unterliegt. Aber es ist kein Hirngespinst: Vielmehr balanciert Sharon Kam, Klarinettistin der Extraklasse, auf der Grenze zwischen Etwas und Nichts. In ihren Händen wird das Instrument zu einem Medium, das mit dem Nirwana kommuniziert.
Das jüngste „Raumstation“-Konzert der Tonhalle zeigt Kam auf der Höhe ihrer Kunst. Sie kann Klänge modellieren, als seien sie aus Wachs. Die Künstlerin hat für diesen Abend Partner an ihre Seite geholt, die mit ihr um die Wette zaubern. Das ist ein Glücksfall für Beethoven, Debussy und Messiaen, auf deren Werke sich hier alles konzentriert.
Mit furioser Energie eröffnen Liza Ferschtman (Violine), Christian Poltéra (Violoncello) und Enrico Pace (Klavier) den Abend mit Beethovens „Geistertrio“ (op. 70/1). Beethoven blickt uns als Feuerkopf entgegen, aber das Trio versteht sich auch auf diskretere Facetten. Das Largo, im Zwielicht zwischen Dur und Moll wandelnd, erscheint wie ein Vorgriff auf das Ende des Programms, mithin auf Olivier Messiaens „Quatuor pour la fin du temps“.
Was Sharon Kam und Enrico Pace aus Debussys Rhapsodie Nr. 1 für Klarinette und Klavier machen, führt schon vor der Pause zu energischen Bravorufen. Das Stück wird zum zarten impressionistischen Gespinst, milchig leuchtend, pastellfarben ohne Kitsch. Alles ist Licht und Luft und Farbe, sommerlich träge zu Beginn, dann zunehmend keck. Sharon Kams erlesener Klarinettenton strömt in schier endloser Linie: Wann die Künstlerin atmet, bleibt ihr Geheimnis.
Welch sensibler Meister Enrico Pace am Konzertflügel ist, zeigt sich auch in Messiaens „Quatuor pour la fin du temps“ (Quartett für das Ende der Zeit). Viel von der kristallinen Schönheit dieses Werks, komponiert in einem Kriegsgefangenenlager bei Görlitz, verdankt sich Paces sublimen Zugriff, seinem Gespür für Atmosphäre. Mit ihm als Rückgrat formen Kam, Ferschtman und Poltéra diese Bekenntnismusik intensiv aus, samt Vogelgesängen, Brutalismen und Depressionen.
Manches gleißt messerscharf, ähnlich der Musik zur Duschmordszene aus Hitchcocks „Psycho“. Rückhaltlos versenken sich Poltéra und Ferschtman in das „Loblied auf die Ewigkeit Jesu“, beschwören die „Unsterblichkeit Jesu“. Grüblerisch um sich selbst kreisend, werden diese langsamen Sätze zum Gebet, das um Erlösung fleht. Erschreckend, wie das noch immer – oder immer neu? – in den Ohren brennt.