LKA-Profiler im Mordfall Claudia Ruf Neue Chance für den Mord-Ermittler
Grevenbroich. · Nach 23 Jahren beschäftigt sich Andreas Müller erneut mit dem Mordfall Claudia Ruf.
„Es ist Hemmerden schon jetzt gelungen, ein eindrucksvolles Zeichen zu setzen. Diesen Druck auf den Täter will die Polizei aufrechterhalten.“ Mit diesen beiden Sätzen kommentiert der Erste Kriminalhauptkommissar Andreas Müller (58) die hohe Zahl von 650 Freiwilligen, die bereits am ersten Wochenende zum DNA-Massentest erschienen. Und er beschreibt die Grundstimmung im Dorf, in dem die elf Jahre alte Claudia Ruf im Mai 1996 verschwand. Sie wurde vergewaltigt und ermordet. Alle dort wollen wissen, wer das getan hat. „Wir haben eine hohe Chance, den Fall aufklären zu können.“ Das sei man der Familie von Claudia Ruf und Hemmerden schuldig.
Ebenso unfreiwillig wie unvermeidlich ist Andreas Müller derzeit in eine Doppelrolle hineingeraten: Er leitet die „Operative Fallanalyse“ im Düsseldorfer Landeskriminalamt. Sein Team hat den 23 Jahre alten Mordfall neu bewertet und dadurch aus einem „Cold Case“ den meistbeachteten Kriminalfall dieser Tage gemacht. Zugleich stand er selbst vor 23 Jahren auf jenem Feld bei Euskirchen, auf dem die verbrannte Leiche der kleinen Claudia gefunden wurde. Andreas Müller arbeitete damals in der zuständigen Mordkommission der Polizei Bonn. Im ersten Anlauf gelang es nicht, den Mörder und Vergewaltiger zu ermitteln.
Seither versuchen Journalisten das Gefühlsleben und die Motivation des Ermittlers Andreas Müller auszuloten. Der hält die „professionelle Distanz“ für eine der Grundvoraussetzungen professioneller Polizeiarbeit. Lange hat sich der 58-Jährige gegen das Etikett „LKA-Profiler“ gewehrt. Denn „Operative Fallanalyse“ sei weit mehr, als in düstere Täterseelen hinabzutauchen, wie es Hollywood-Filme darstellen. „Methodik, Erfahrung, viel Fortbildung, ein interdisziplinäres Experten-Netzwerk und die Fähigkeit, zu kommunizieren und zu beraten – das verlange ich von jedem Mitglied meines neunköpfigen Teams in Düsseldorf“, sagt Müller. Wenn dies deutlich wird, kann sich der Erste Kriminalhauptkommissar auch mit der Bezeichnung „LKA-Profiler“ abfinden. Eher Notgedrungen: „Leider versuchen viele Scharlatane, als ‚Profiler‘ ihr Geld zu verdienen, und machen den Familien von Opfern falsche Hoffnungen.“ Davon will Müller sich und das Team fernhalten.
Die echte Fallanalyse läuft anders. Das „Cold Case Management“ gehört zur Tätigkeit der Fallanalytiker im Landeskriminalamt, neben der Beratung bei schweren Straftaten. Sie schauen aus der Vogelperspektive auf einen ungeklärten Fall – wie den von Claudia Ruf. Die zentrale Frage lautet: Welche neuen Ansatzpunkte gibt es? 1996 war die Kriminaltechnik längst nicht so weit entwickelt wie heute. Die DNA-Analyse stand den Ermittlern gar nicht zur Verfügung. Aber sie sicherten Täterspuren, aus denen Täter-DNA gewonnen werden konnte. Die heutige Labortechnik ermöglicht einen DNA-Vergleich.
Inzwischen auch Verwandte
dritten Grades erfassbar
Zudem änderten sich am 17. August 2017 die Regeln der Strafprozessordnung für DNA-Reihenuntersuchungen. Nunmehr dürfen auch Verwandtschaftsverhältnisse bis hin zu Verwandten dritten Grades durch solche Tests erfasst werden. Das Kalkül in Hemmerden: Selbst wenn der Täter nicht zum Speicheltest kommt, kann er über die Familienbande bis hin zu Onkeln oder Neffen ermittelt werden. Aus den rekonstruierten Abläufen unmittelbar vor der Tat ist für die LKA-Fallanalytiker deutlich: Der Täter kam nicht zufällig vorbei, sondern stammt höchstwahrscheinlich aus Hemmerden.
„Mit diesen Erkenntnissen sind wir zur Staatsanwaltschaft und der Polizeileitung in Bonn gegangen“, sagt Andreas Müller. Denn dort musste entschieden werden, die Ermittlungen in dem 23 Jahre alten Mordfall wieder aufzunehmen. Aufgrund der Beratung durch das Düsseldorfer Team habe man sich für eine sehr konzentrierte Aktion entscheiden – „keine Kommunikation in vielen Einzelschritten – denn wir wollen, dass das Dorf Hemmerden so rasch wie möglich wieder zur Ruhe
kommt.“
Die Mobilisierung der Bürger sei genauso gelungen, wie geplant. Sobald die Speichelproben an diesem Wochenende eingesammelt sein werden, beginnt für alle Beteiligten das Warten. Zwei, drei, vielleicht vier Monate wird die Auswertung dauern. „Bei einer Reihenuntersuchung in Schleswig-Holstein führte die Probe Nummer 1300 von 1500 zu einem Treffer“, sagt Andreas Müller. Die Speichelproben aus Hemmerden werden anschließend vernichtet – so wie zugesagt. Die Erkenntnisse der Fallanalytiker werden Teil der weiteren Polizeiarbeit. Mehr als 1000 weitere Todesfälle aus den vergangenen 20 Jahren warten auf ihre Aufklärung – allein in Nordrhein-
Westfalen.