Pflegenotstand Ein „Engel“ für Herrn Ante
Der pflegebedürftige Senior aus Osterath wird von einer polnischen Pflegekraft betreut.
An diesem Morgen haben Franz Josef Ante und Mirka Wilmanska schon gemeinsam gefrühstückt und die tägliche Körperpflege samt Anziehen erledigt. Jetzt cremt sie ihm den schmerzenden Rücken ein. Ob er glücklich ist, dass Mirka im Haus ist? Der 82-Jährige tut so, als ob er überlegen müsste. Mirka knufft ihn in die Seite, und er blinzelt verschmitzt. Schließlich lachen beide, und der Senior sagt: „Es könnte nicht besser sein.“
Der pflegebdürftige Osterather und die 60-jährige Betreuerin aus Polen kennen sich erst seit knapp drei Wochen. Aber sie wirken so vertraut, als würden sie schon seit Jahren unter einem Dach leben. „Als Mirka vor unserer Tür stand, da war mir sofort klar: ,Da kommt unser Engel’“, erinnert sich Ursula Ante. Bis Mirka im Obergeschoss des Einfamilienhauses ihr eigenes, kleines Reich bezog, hatte sich die 77-Jährige um ihren Mann gekümmert. Und obwohl sie dabei stundenweise Unterstützung bekam und ihr Mann die Tagespflege besuchte, war sie an einem Punkt angelangt, an dem es einfach nicht mehr ging. „Ich war schlicht an meine Grenzen gekommen“, erzählt sie. „Körperlich und seelisch.“
Die beiden erwachsenen Kinder und die Freunde hätten sie schon lange gedrängt, eine Betreuungshilfe zu suchen. Aber einfach eine fremde Person ins Haus holen, die dann rund um die Uhr da ist? Eine, die sie womöglich noch „bespaßen“ müsste? „Damit habe ich mich tatsächlich schwer getan und hatte richtig Angst“, gibt Ursula Ante offen zu. Aber jetzt – nach nicht einmal einem Monat „mit Engel Mirka“– sagt sie: „Hätten wir vorher gewusst, dass das so wird, dann hätten wir uns schon früher Hilfe geholt.“
So wie dem Ehepaar Ante geht es vielen älteren Menschen, weiß Anna Scharmer. Die Meerbuscherin hat sich vor rund einem Jahr mit ihrer Betreuungsvermittlung selbstständig gemacht, nachdem sie zuvor viele Jahre lang als Pflegekoordinatorin angestellt war. Sie arbeitet mit drei Agenturen in Polen zusammen und sucht mit einem Fragebogen akribisch nach der idealen Betreuung für den jeweiligen Kunden. „Der Charakter muss stimmen, schließlich leben die Menschen zusammen. Und es muss Ehrlichkeit herrschen: Alle Beteiligten müssen schon vorher wissen, was sie erwartet.“
Nachfrage steigt wegen des
zunehmenden Pflegenotstands
Die meisten polnischen Pflegekräfte kennt Anna Scharmer mittlerweile sogar persönlich. Und der Aufwand lohnt: Scharmers Erfolgsquote liegt bei fast 100 Prozent. Aktuell betreut sie 15 Kunden. Wegen des zunehmenden Pflegenotstands steigt die Nachfrage ständig. „Ich vermittle aber nur in der Region.“ Denn der 48-Jährigen ist es wichtig, dass sie jederzeit persönlich sowohl für die Kunden als auch für ihre Mitarbeiter da sein kann. Scharmer: „Ich halte meine schützende Hand über alle Beteiligten.“
In seltenen Fällen ist sie Mediatorin, etwa wenn es Missverständnisse im Zusammenleben gibt. „Das kommt natürlich vor.“ Meist ist sie aber einfach nur die Dolmetscherin, wenn es bei der Übersetzung hapert, beispielsweise von Medikamentennamen oder Lebensmitteln. „Dann helfen mir meine polnischen Wurzeln“, sagt Scharmer, die mit einem Deutschen verheiratet ist. Anna Scharmer war es auch, die Mirka Wilmanska vermittelt hat. „Nachdem ich die Eheleute Ante kennen gelernt hatte, kam mir sofort Mirka in den Kopf. Alle drei sind humorvoll, tolerant und herzlich.“ Und Mirka sei eine Powerfrau: zuverlässig, fleißig, eine tolle Köchin. Ursula Ante: „Mein Mann und ich lieben es, wenn Mirka kocht und backt. Ihre Piroggen sind ein Traum.“
Auch für Mirka Wilmanska, die seit 2006 regelmäßig als Pflegekraft nach Deutschland kommt, ist das Ehepaar Ante ein Glücksgriff. „Ich kenne schon alle Freunde und die gesamte Familie und fühle mich als Teil davon“, sagt sie. Ihre Heimat Polen vermisse sie nicht. „Ich bin geschieden und meine Kinder sind erwachsen. Ich bin frei!“ Skypen und Mailen reichten ihr aus, um den Kontakt zu halten. Außerdem hat sie in Deutschland Freundinnen – ebenfalls polnische Pflegerinnen.
An diesem Mittag wird die Erbsensuppe vom Vortag aufgewärmt. Darauf freut sich die Osterather WG schon. Danach will die Pflegerin „ein wenig an die Luft“ mit Herrn Ante. „Ich mag gar nicht daran denken, dass Mirka im März schon wieder geht“, sagt dessen Ehefrau. Denn dann – so schreibt es das Gesetz vor – muss die polnische Pflegerin wieder zurück in die Heimat, bevor sie weitere zwei Monate später wiederkommen darf. „Kompliziert, aber so ist es halt“, seufzt Ursula Ante. Doch Mirka beruhigt sie: „Ich komme ja auf jeden Fall wieder.“
Anna Scharmer wird sich bemühen, diese Zeit bestmöglich zu überbrücken: „Ich habe da schon eine Co-Betreuerin für Mirka im Kopf. Die beiden wären ein tolles Pflege-Tandem, das sich dann künftig im Wechsel um Herrn Ante kümmern wird.“