Auf der anderen Seite des Glühweinstands
Getränke zapfen, Gläser spülen, Geld kassieren: Maike Billen hat in einem Selbstversuch für einige Stunden in der Almrauschhütte der Winterwelt mitgearbeitet.
Bisher habe ich mir die Hände nur mit Tinte beschmiert, nie mehr als fünf Gläser auf einem Tablett balanciert. Kopfrechnen pflege ich seit der Schule nicht mehr. Ich trinke durchschnittlich ein Bier im Jahr. Glühwein? Mal probiert. Und doch stehe ich hier vor der Enzian- und Almrauschhütte der Büdericher Winterwelt. Es ist der vierte Adventssamstag, 16 Uhr. Winterwelt-Wirt Klaus Unterwainig lässt mich mitarbeiten.
Am Ausschank begrüßen mich Ruxandra Bejinar, Petros Tsellas und André Klang. Das Team wird später aufgestockt. Ruxandra sieht müde aus. Gegen 20 Uhr im Trubel wird sie sagen: „Jetzt bin ich wach. Es muss zack zack mit den Kunden gehen.“
Mir werden das Du und eine rote Weste mit der Aufschrift „Gulasch Alt“ angeboten. Sie ist zu lang und zu weit. Ich fühle mich unbeholfen und irgendwie lächerlich damit. Ich lege die Weste aber nicht ab. Ich trockne daran später meine Hände ab. Mit Weste sehe ich wie jemand aus, der tatsächlich Glühwein und Bier verkauft — egal ob Haltung, Mimik und Rechenkünste stimmen.
Ich nehme eine Bestellung auf und studiere angestrengt die Preisliste, wechsle das Geld und reiche die Getränke. André sagt: „Als Erstes Preise auswendig lernen.“ Es gelingt mir bei gängigen Getränken. Gulasch Alt zwei Euro, Pils 2,30 Euro, Cola oder Fanta 2,10 Euro, Glühwein drei Euro, mit Schuss plus 50 Cent. Bei Weinschorle vergewissere ich mich. Gästen, die fünf Alt bestellen, bin ich dankbar. Denen, die bunt durcheinander bestellen, weniger. Warum hält Deutschland so verzweifelt am Bargeld fest?
André Klang, Hütten-Mitarbeiter, der die Autorin Maike Billen bittet, schneller die Gläser zu spülen
Nächste Station: Spüle. „Du bist zu langsam.“ André macht es vor. Ich stopfe die Gläser in die Bürsten, dann ins Wasser. Zu gründlich, zu oft. André runzelt die Stirn und grinst. Ich ärgere mich über Lippenstiftspuren und zerdeppere ein Glas. Um das klarzustellen: Es bleibt das einzige. Dafür verwechsle ich nachher Malzbier mit Alt (sieht im Glas ja auch verdammt ähnlich aus) und öffne eine Cola statt Fanta, weil ich nicht richtig zuhöre. Zwischendrin zapfe ich Glühwein und mixe Weinschorle. Die Sektflasche lasse ich andere entkorken.
Anfangs kreuze ich fremde Reviere. Hinter der Theke hat jeder seinen Platz. Ab und an fühle ich mich wie ein Störfaktor. Ich weiche Kollegen aus, weil ich im Wege stehe. Die Kommunikation ist knapp. „Steht“: Ich darf das Alt nehmen. „Zwei Pils länger“ oder „Zwei Pils weiter“: Neben den vier Pils, die der Kollege orderte, braucht man auch noch welche aus der Zapf-Ecke. Bestellungen kommen von vorne, hinten und der Seite.
Ein Kellner heißt Pythagoras. Ich denke an rechte Winkel und Altbier — doch halt, denk‘ nicht so viel, frag den Herrn am Fenster, was er bestellen möchte. Ich rufe laut nach links Glühwein, Pils und Weißwein. Meine Finger geben die Anzahl an.
Ab neun Uhr füllt sich die Hütte deutlich. Einige Gäste tanzen, wie man eben tanzt mit Alkohol im Blut: feuchtfröhlich falsch zum Rhythmus. Ich bin abgelenkt. Ein Mann holt mich zurück und bestellt zwei Alt.
Zwanzig nach zehn: Der Boden ist rutschig. Leere Glühweinkanister stehen herum. Ein neues Fass Alt wurde eben angerollt. Die anderen werden bis in die frühen Morgenstunden ackern. Ich bin froh, einfach gehen zu können. André fragt: „Nicht dein Ding, oder?“ Ja, nicht mein Ding. „Dabei hattest du umfassenden Welpenschutz.“ Ich danke für die Nachsicht. Ich habe genug experimentiert: zu viel Hektik; zu viel Flüssiges, das überschwappt; zu viel Glas, das ich Tollpatsch zerbrechen könnte. Ich war keine Katastrophe hinter der Theke, besonders gut aber auch nicht. Ich beneide Wirte und Kellner nicht, schätze ihre Arbeit umso mehr.