Ausstellung: Wenn der Voyeur zum Täter wird

Wilhelm Schiefer greift Tod und Schmerz als Thema in der evangelischen Kirche auf.

Osterath. Mit der Passionszeit beginnen für viele Menschen sieben Wochen des Verzichts. Auch die evangelische Kirche in Osterath verzichtet in ihrer Reihe Kunst in der Apsis — und zwar auf Farbe.

Ab Sonntag zeigt der renommierte Künstler Wilhelm Schiefer in der Kirche Holzschnitte und Sägebilder ausschließlich in Schwarz-Weiß. Zu den Themen, die der Kaarster in seinen Arbeiten zum Ausdruck bringt, würde eine andere Farbgebung auch nicht passen. Schiefer erzählt von Tod und Schmerz, von Klage und Wehgeschrei. Es ist keine einfache Kost, aber das ist dem 76-Jährigen ziemlich egal: „Ich habe noch nie nach dem Verkauf geschielt.“

Im Zentrum der Ausstellung hat der Kunstakademie-Absolvent eine dreidimensional wirkende, ausgesägte Holzarbeit in der Apsis platziert, die ein Begräbnis darstellen könnte. „Ich lasse mich nur ungern festlegen. Aber die Interpretation ist natürlich naheliegend: Eine Frau beklagt den Tod von Menschen, die sie geliebt hat“, erklärt Schiefer.

Einem Bild des lothringischen Barockmalers Georges de la Tour ist ein Holzschnitt nachempfunden, der den von Pfeilen durchbohrten Heiligen Sebastian zeigt. Um ihn herum gruppierte Frauen klagen gestenreich über das Schicksal des Sterbenden. „Ich mag es, wie er mit Licht spielt“, sagt der Bildhauer zu der Technik des französischen Künstlers.

Schiefer sieht Klage aber auch in Verbindung mit Anklage. Vier Bilder, eines rechts neben der Apsis sowie ein Triptychon im hinteren Bereich der Kirche, zeigen Szenen aus dem irakischen Gefängnis Abu Ghraib. Als Vorlage dienten Zeitungsfotos.

Ein nackter Muslime wird von brutalen amerikanischen Soldaten gedemütigt, vor ihm eine Urinpfütze, ein Hund, der wie ein Monster wirkt, betrachtet hechelnd die Szenerie. Kann der Betrachter sich bei diesem Bild noch von Schuld freisprechen, gerät er bei Schiefers Triptychon als glotzender Mitläufer ebenfalls auf die Anklagebank: Die immer identisch scheinende Gruppe labt sich an dem Schmerz anderer, ohne einzuschreiten. Das Opfer wird dabei wie auf einer Bühne präsentiert. „Der Grat zwischen Voyeur und Täter ist meist schmal“, erläutert Schiefer seine Intention.