Gutachter entlarvt Hassmail-Schreiber
Ein Sprachprofiler hat den Verfasser diffamierender Nachrichten mit großer Wahrscheinlichkeit enttarnt. Sie wurden aus dem Rathaus an Arbeitgeber früherer Fraktionskollegen der UWG verschickt.
In der E-Mail-Affäre um diffamierende Nachrichten, die vom Computer des ehemaligen Vorsitzenden der Ratsfraktion „Die Aktiven“ an die Arbeitgeber früherer Fraktionskollegen der UWG verschickt wurden, gibt es neue Erkenntnisse. In einem von der Stadt Meerbusch bezahlten Gutachten kommt Sprachprofiler Professor Raimund Drommel zu dem Ergebnis, dass der Autor der verschickten Hass-Mails „mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit“ der mittlerweile zurückgetretene Ratsherr ist. Das Sprachgutachten soll jetzt der Staatsanwaltschaft übergeben werden.
Deren Ermittlungen haben bereits ergeben, dass die E-Mails vom Computer des ehemaligen Fraktionskollegen verschickt wurden. Der Beschuldigte streitet allerdings ab, der Verfasser zu sein. Sein Computer, sagt der Ex-Ratsherr, sei zur Tatzeit nicht passwortgeschützt und grundsätzlich weiteren Personen zugänglich gewesen. Aus Mangel an eindeutigen Beweisen stellte die Staatsanwaltschaft ein erstes Ermittlungsverfahren ein. Allein aus der Anschlussinhaberschaft könne nicht mit der nötigen Sicherheit auf den Verfasser einzelner E-Mails geschlossen werden, hieß es. Zwei weitere Ermittlungsverfahren laufen.
Weil es im vorliegenden Fall um die Verteidigung von Organ-Kompetenzen und nicht nur um die Verfolgung subjektiver bürgerschaftlicher Rechte geht, hat die Stadt Meerbusch die Betroffenen durch die Übernahme der Kosten für ein gerichtsfähiges sprachvergleichendes Gutachten unterstützt. Raimund Drommel gilt als ausgewiesener Experte auf diesem Gebiet. Der Kriminalwissenschaftler analysiert Drohbriefe, Tagebücher, Abschiedsbriefe und anonyme Anrufe für Polizei, Staatsanwaltschaften und Gerichte, aber auch im Auftrag von Unternehmen oder Privatleuten. Er entschlüsselt die Sprache von Verbrechern, indem er Schriftstücke und Sprachnachrichten auf sprachliche Besonderheiten untersucht und so den Urheber bestimmen kann.
Eine der anonymen diffamierenden E-Mails hat Drommel in den vergangenen Wochen mit 23 Vergleichstextproben sprachsystematisch abgeglichen. Die statistischen Berechnungen der Urheberschaftswahrscheinlichkeit habe ergeben, dass allerhöchstens einer unter eintausend „erwachsenen Schreibern des Deutschen“ dasselbe schriftsprachliche Profil wie der anonyme E-Mail-Schreiber und der beschuldigte ehemalige Ratsherr aufweist, heißt es in Raimund Drommels Gutachten.
Untersucht hat der Professor dafür Sprachmerkmale wie Wortgebrauch, Konjunktion und Interpunktion — in diesem Fall zum Beispiel systematisch falsch platzierte Abkürzungsbindestriche bei Wortverbindungen nach dem Komma, die laut Gutachten bei maximal fünf Prozent aller Autoren vorkommen.
„Im Normalfall ist das Sprachverhalten der analysierten Personen nach Fertigstellung eines sprachsystematischen Gutachtens derart durchleuchtet, dass durch Sprachprofiling prognostiziert werden kann, wie sich die jeweilige Person in bestimmten Situationen schriftsprachlicher Kommunikation verhalten wird“, sagt Drommel. Bürgermeisterin Angelika Mielke-Westerlage ist über das Ergebnis des Schriftgutachtens bereits informiert, am 29. Juni soll es dem Stadtrat vorgelegt werden. Ob und wie sich die Erkenntnisse auf die strafrechtlichen Ermittlungen der Staatsanwaltschaft auswirken, ist noch offen.
Der beschuldigte Ratsherr, der zunächst Mitglied der Unabhängigen Wählergemeinschaft (UWG) und später der Fraktionsgemeinschaft „Die Aktiven“ war, hat sein Ratsmandat mit Wirkung zum 31. März 2017 niedergelegt. Der Sitz im Stadtrat ist damit an die UWG zurückgefallen. Ratsherr Wolfgang Müller, der von 2015 bis Ende des Jahres 2016 gemeinsam mit dem Beschuldigten eine Fraktionsgemeinschaft gebildet hat, ist jetzt Mitglied der UWG-Fraktion.