Heiligabend als Geburtstag
Der Meerbuscher Günter Wermeister wurde am 24. Dezember 1942 geboren.
Klarer Fall: Kartoffelsalat mit Würstchen! Für Günter Wermeister ist diese rustikale Speise immer noch etwas ganz Besonderes und deshalb am heutigen Heiligabend ein Muss. Man findet sich ein im Hause Wermeister — alljährlich zum herzhaften Ritual: Das ist heute so, und es war vor vielen Jahrzehnten so. Wermeister ist am 24. Dezember 1942 in den Krieg hineingeboren worden. Und er sagt ganz offen: „Es war keine gute Zeit, um im Rheinland geboren zu werden.“
Der Krieg hatte das Leben in den Städten und Dörfern der Rheinschiene gefährlich und beschwerlich gemacht. „Aber ich hatte mir den Termin und den Ort meiner Geburt ja nicht ausgesucht“, betont er. Am Heiligen Abend wurde er also in Ratingen geboren — um 17.15 Uhr. Seine Mutter hieß Maria, sein Vater allerdings nicht Josef, sondern Gottfried Wilhelm, Zimmermann und Schreiner von Beruf. Ein Ereignis hat Günter Wermeister noch heute klar vor Augen: Es war die Bombennacht im Keller des Nachbarhauses im März 1945. Er war kaum älter als zwei Jahre, als er zusammen mit seiner schwangeren Mutter und mit seinem Bruder auf der hölzernen Kellertreppe Zuflucht gesucht hatte, Rosenkranz betend oder schweigend, auf das Ende des Fliegeralarms wartend.
Die pure Angst habe sich in sein Gedächtnis eingegraben, beschreibt er. Sein Vater war unterdessen draußen, um Plünderungen zu verhindern. Die Familie hat diese schwere Zeit überstanden — eine Zeit der Entbehrungen, aber auch eine Zeit der Freude und des Glücks. Man wohnte in Homberg auf dem Land. Die Natur hatte die Kinder immer reichlich mit Kastanien, Eicheln und bunten Feuerbohnen versorgt. Die Familie war nicht an die öffentliche Wasserleitung angeschlossen.
Wasser kam aus dem Pütt, dem Brunnen. Wermeister erzählt: „Die Kurbel mit der Kette und dem daran hängenden Eimer musste etwa 16 -mal gedreht werden, bis der Wasserspiegel erreicht war, und dann ging es wieder nach oben. Allerdings war diese Tätigkeit bei großer Wäsche, bei Schnee und Eis keine Aufgabe, die man gern erledigte.“
Wermeister, der heute glücklich und sehr geerdet mit seiner Frau in Meerbusch lebt, sagt im Nachhinein, dass er diese Zeit nicht missen möchte. Die bescheidenen Verhältnisse in seiner Jugend waren aus seiner Sicht eine „ideale Basis für ein erfolgreiches und zufriedenes Leben“. Der Werkzeugmacher-Meister ist viel rumgekommen in der Welt. Er hat über 30 Jahre lang für das schwedische Unternehmen Sandvik gearbeitet. Er hat zahlreiche marktreife Patente entwickelt. Er hat in schwierigen Situationen Lösungen gefunden — und das war schon damals so.
Günter Wermeister
Freunde schildern ihn als „geradlinigen Kerl“, als einen „Mann mit Ecken und Kanten“. Als Günter Wermeister damals als Jugendlicher von einem Freund vermöbelt wurde, war die Folge der prompte Eintritt in einen Box-Klub in Heiligenhaus. „Das wollte ich mir nicht noch einmal bieten lassen“, erzählt Wermeister mit der Gelassenheit und Größe eines lebenserfahrenen Menschen. Viele Jahrzehnte nach dieser Episode hat sich der Kreis nun geschlossen: Wermeister hat den prügelnden Kumpel von damals in Ratingen rein zufällig getroffen. Der kam aus dem Staunen nicht heraus. Er sagte nur: „Der Günter, das gibt es doch gar nicht!“
Dass Wermeister in all den Jahren auf Geburtstagsfeiern verzichten musste („Die Leute haben ja am Heiligen Abend andere Dinge vor“), ist für ihn gar kein Problem. Er sagt rückblickend: „Ich hätte mir kein besseres Leben wünschen können.“ In den ersten Lebensjahren habe er auch nichts vermisst, „zu dieser Zeiten besaßen alle wenig“.
So gibt es heute Kartoffelsalat mit Würstchen, den er zusammen mit seiner Frau und einer alleinstehenden Nachbarin genießen wird. Ja, Zufriedenheit ist für ihn ein großes Glück.