Der Lebensraum Erft ist gestört

Nach EU-Richtlinien sind Teile des Flusses in einem schlechten Zustand. Einige Tiere sind bereits kaum noch zu finden.

Foto: Michael Reuter

Rhein-Kreis. Die Zahlen vom Umweltministerium des Bundes klingen bedenklich. In 93 Prozent der Fließgewässer lebt nicht mehr die Gemeinschaft aus Fischen, Pflanzen und Kleintieren, die dort zu finden sein müsste. 79 Prozent der Flüsse und Bäche sind durch Ausbau „in ihrer Struktur deutlich bis vollständig verändert“, heißt es in der Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Grünen. Daraus folgt: Nur 6,6 Prozent der bewerteten Fließgewässer-Abschnitte sind nach EU-Kriterien ökologisch in gutem Zustand, gerade mal 0,1 Prozent in sehr gutem Zustand.

Zu diesen zählt die Erft nicht. „Sie kann die die Anforderungen nicht erfüllen und befindet sich ökologisch in einem schlechten Zustand“, sagt Christian Gattke, beim Erftverband für die Flussbewirtschaftung zuständig. Gemeint ist damit nicht der gesamte Fluss. Denn von der Quelle oberhalb von Bad Münstereifel bis nach Bergheim sei er immerhin ein mäßig guter Lebensraum für Flora und Fauna — an vielen Stellen sogar in einem guten ökologischem Zustand. Das zeigen die Farben Gelb und Grün auf einer interaktiven Online-Karte des NRW-Umweltministeriums. Danach ändert sich die Farbgebung aber schlagartig. Die Erft ist bei Bedburg, Grevenbroich und Neuss immer orange („unbefriedigend“) und häufig in Rot („schlecht“) markiert.

Die Ursache für diesen plötzlichen Umschwung des ökologischen Zustands liegt im Tagebau. Um diesen trocken zu halten, wird in großem Stil Grundwasser abgepumpt. Dieses sogenannte Sümpfungswasser ist aufgeheizt und wird der Erft zugeführt. „Das Wasser ist nicht anderweitig belastet, es ist aber einfach zu warm“, sagt Gattke. Durch diese „Tropen vor der Haustüre“ fühlen sich im Fluss auch gebietsfremde Fische und Pflanzen wohl. Neben eingeschleppten Aquarienpflanzen sind in der Erft sogar schon vereinzelt Piranhas gefangen worden. Außerdem tummeln sich stellenweise die bunten Guppys, die sonst nur in tropischen Gewässern vorkommen. Die heimischen Tiere und Gewächse haben es dagegen schwerer. „Das mangelnde Vorkommen der ursprünglichen Erft-Bewohner liegt aber nicht daran, dass sie durch Neulinge verdrängt werden“, erklärt Christian Gattke. Bei höheren Temperaturen falle ihnen einfach das Laichen schwer.

Neben dem erwärmten Wasser macht der heimischen Flora und Fauna auch zu schaffen, dass die Erft nicht mehr ihre naturgegebene Struktur hat. Der Lauf wurde seit dem Mittelalter oft verändert, etwa für die Mühlennutzung. Besonders Begradigungen bedrohen den Fluss als Lebensraum.

„Das ist ein sehr limitierender Faktor, weil das Wasser dadurch deutlich schneller fließt“, sagt Gattke. Dieser Umstand ist dem Dreistacheligen Stichling, der jüngst zum „Fisch des Jahres 2018“ gekürt wurde, zum Verhängnis geworden. Die Fischart ist nicht kräftig genug, um sich dauerhaft gegen die Strömung zu wehren. Weil strömungsberuhigte Flachwasserbereiche fehlen, kommt der Fisch in der Erft kaum noch vor.

Doch für den im Volksmund „Pickfött“ genannten Fisch besteht Hoffnung. „Ab 2030 soll weniger warmes Wasser in die Erft geleitet werden“, sagt Gattke. Er rechnet damit, dass die Artenvielfalt dann kontinuierlich größer wird. Dazu trägt der Erftverband mit Renaturierungsmaßnahmen bei, die sich am ursprünglichen Flussverlauf orientieren. „Es gibt einige Stellschrauben, an denen wir arbeiten. Aber bis wir die hochgesteckten EU-Kriterien erfüllen können, wird es noch Jahrzehnte dauern. Wir planen derzeit bis zum Jahr 2045 “, sagt Gattke.