Frühlingsfest: Verstehen, wie der andere tickt
Dass das Interesse an anderen Kulturen groß ist, hat das Fest auf Markt und Freithof zum fünften Mal bewiesen.
Neuss. Jugend in Neuss hat viele Gesichter. 40 bis 50 Prozent der jungen Menschen in der Quirinusstadt haben einen Migrationshintergrund, schätzt Maria Reinprecht-Kokkinis, die den Fachdienst für Integration der Caritas-Sozialdienste leitet.
Auch ihre Einrichtung präsentierte sich am Samstag beim Frühlingsfest der Kulturen, organisiert vom Arbeitskreis Integration der Migranten in der Stadt Neuss in Kooperation mit dem Integrationsbüro und dem Integrationsrat. Das Motto: „Die Zukunft sind wir: Jugend in Neuss“.
Maria Reinprecht-Kokkinis ist überzeugt, dass die Potenziale junger Migranten noch nicht gänzlich erkannt sind — vor allem auf kreativem Gebiet. Zwar seien sie weniger in Organisationen eingebunden als gleichaltrige Deutsche, doch beispielsweise beim Musikmachen ergeben sich ganz von selbst Kooperationen, etwa in einer Band.
Das junge, moderne Gesicht von Migrantenkultur spiegelte sich auch im Bühnenprogramm, das Schülerbands, Diskussionsrunden und HipHop präsentierte.
Damit der Start im neuen Land klappt, braucht es viel Eigeninitiative, aber auch Unterstützung von außen. So war es auch bei Pavel Musins (32), der 1996 durch ein Programm für Menschen jüdischen Glaubens aus Lettland nach Deutschland kam. „In der Schule konnte ich anfangs kein Wort Deutsch“, erinnert er sich. Erst mit Hilfe des Jugendmigrationsdienstes konnte er auf einem speziellen Internat in Münster die Sprache lernen und den Realschulabschuss machen. Später studierte Pavel Musins Maschinenbau, heute ist er Ingenieur und lebt mit seiner Frau Elena und Söhnchen Michael (4) in Neuss. „Am Anfang war es nicht einfach“, sagt er rückblickend. „Aber ich hatte Leute, die mir geholfen haben. Und wenn man will, geht alles — auch wenn man dafür etwas Zeit investieren muss.“
Gegenseitige Hilfe ist das Prinzip des „Interkulturelle Frauennetzwerks Neuss“, das 2010 als Verein gegründet wurde und derzeit 70 Mitglieder hat, darunter Migrantinnen und Frauen mit deutschen Wurzeln. Die Anfänge gehen zurück bis 1995.
Zwei Jahre vorher war die Gründerin Mirnije Azizaj allein mit ihren vier Töchtern aus dem Kosovo nach Deutschland geflohen und in Neuss untergekommen. Wie die meisten Flüchtlinge, musste auch sie Teile der Familie zurücklassen. „Alle Ressourcen waren im Heimatland“, erinnert sie sich. Doch schon bald begann sie, Treffen für Mitbetroffene zu organisieren. Die Nachfrage war enorm: fast 50 Frauen kamen beim ersten Mal, „die Hälfte hat nur geweint“, sagt Mirnije Azizaj. „Doch jede Einzelne hat ihre Stärken und Erfahrungen, mit denen sie anderen zur Seite steht.“