Rettungswesen in Neuss Rettungsdienst arbeitet auch in Neuss längst am Limit

Neuss · Die Zahl der Anrufe in der Kreisleitstelle in Neuss nimmt seit Jahren zu. Die Rettungsdienste sind mehr als ausgelastet. Die angespannte Situation kann weder mit einer alternden Gesellschaft noch mit der Zunahme von Krankheiten erklärt werden.

Der Rettungsdienst arbeitet seit Jahren am Limit. Die Einsatzzahlen steigen dabei weiter.

Foto: Patrick Schüller

Das System der Notfallversorgung bewegt sich durch chronische Überlastung auf einen Kipppunkt zu. So beginnt ein Positionspapier der Johanniter in NRW zum Rettungsdienst. Dort wächst die Sorge, dass die Qualität in diesem sensiblen Bereich abnehmen könne. Die Einsatzzahlen steigen, die Belastung der Mitarbeiter wächst, der Fachkräftemangel macht Stellenbesetzungen schwierig. Trifft die Beschreibung für NRW auch vor Ort zu?

Die Zahl der Anrufe hat auch im Rhein-Kreis Neuss in den vergangenen Jahren jährlich um 10 bis 15 Prozent zugenommen, so ein Sprecher des Kreises. Die Zahl lasse sich weder mit einem entsprechenden Bevölkerungswachstum noch mit einer sich ändernden Gesundheit der Bevölkerung begründen. Es gebe natürlich immer wieder einzelne exotische oder auch skurrile Anrufe, etwa wenn ein Anrufer sich sorgt, dass eine Krähe eine Taube attackiert oder jemand wissen möchte, wer neuer Schützenkönig in Neuss geworden ist.

Auch in der Neusser Leitstelle bereiten Anrufe, bei denen Anrufer einen Bedarf nach medizinischer Hilfeleistung äußern, zunehmend Probleme. „Der Disponent muss dann in jedem Einzelfall abwägen, ob das Entsenden eines Rettungsmittels erforderlich ist oder nicht. In Fällen, in denen nicht unmittelbar klar ist, dass ein Notfall vorliegt, ergeben sich hieraus oft längere Diskussionen.

Bestimmte Stichwörter lassen
keine Handlungsoptionen zu

In der Leitstelle wird entschieden, ob ein Rettungswagen oder der Notarzt kommt. Doch der Notruf 112 ist zunehmend mit Bagatellfällen konfrontiert. Eine Statistik dazu gibt es aber nicht.

Foto: Linda Hammer/Hammer, Linda (lh)

Viele solcher Anrufer wissen jedoch inzwischen, dass sie bestimmte Stichworte sagen müssen, die dem Disponenten keine Handlungsoptionen mehr lassen. Wird zum Beispiel während eines Notrufes durch den Anrufer geäußert, dass er Atemnot habe, muss ein Rettungsmittel entsandt werden. In Zweifelsfällen wird aus Vorsichtsgründen immer ein Rettungsmittel entsandt“, so die Stellungnahme aus dem Kreishaus.

Derzeit wird das Personal der Kreisleitstelle aufgestockt. Damit reagiert der Kreis auf den stetigen Anstieg der Anruf- und Einsatzzahlen, die auch nach Abklingen der Corona-Pandemie nicht wesentlich nachgelassen haben.

Was dem Menschen wirklich fehle und ob dann eine Mitnahme ins Krankenhaus auch tatsächlich erforderlich sei, könne letztlich nur der Rettungsdienst vor Ort entscheiden, der den Patienten sichtet und medizinisch relevante Parameter erhebt. Die Erfahrung in der Kreisleitstelle habe gezeigt, dass in den letzten Jahren die Zahl von Anrufen angestiegen ist, bei denen nach Erkenntnissen des Rettungsdienstes Menschen versuchen, durch die Inanspruchnahme des Rettungsdienstes in der Notaufnahme des Krankenhauses schneller behandelt zu werden. Dieses Verhalten belaste das System des Rettungsdienstes und gefährde Menschen, die wirklich einen medizinischen Notfall oder einen Unfall haben.

So arbeitet die Rettungswache der Johanniter-Unfall-Hilfe in Neuss-Stadtmitte weiterhin unter maximaler Auslastung. Die Kapazitätsgrenze sei dort bereits erreicht. „Eine weitere Steigerung der Einsätze hätte kaum spürbare Auswirkungen, da die Einsatzkräfte bereits vollständig ausgelastet sind“, berichtet Heiko Kraus, Wachleiter der Lehrrettungswache in Neuss. Problematisch bleibe allerdings der Anstieg unnötiger und nicht-indizierter Einsätze. Diese Entwicklung, die bereits vor der Corona-Pandemie begann und sich während der Pandemie weiter verstärkte, zeigt sich auch im Neusser Einsatzbereich. „Solche Einsätze binden wertvolle Ressourcen und beeinträchtigen die Effizienz des Rettungsdienstes“, so Kraus. Auch Saskia Matheisen vom DRK-Kreisverband findet diese Praxis frustrierend: „Wir sind doch kein Taxiunternehmen.“

Alarmierungen erfolgten, so berichten es alle Befragten, immer häufiger aufgrund von leichten Erkrankungen, für die andere Notfalldienste besser geeignet sind. Doch die kassenärztliche Notfall-Telefonnummer 116117 für schnelle ambulante ärztliche Hilfe ist viel zu wenig bekannt. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach will die Notaufnahmen der Krankenhäuser entlasten. Angedacht ist eine Vernetzung oder eine Zusammenlegung beider Notrufnummern. Eine Einigung ist noch nicht in Sicht.