Kinder lernen, Konflikte zu lösen
Trainerin Sibylle Wanders vom Verein „Gewaltfrei Lernen“ besuchte 106 Drittklässler der St.-Hubertus-Grundschule.
Neuss. „Stopp, lass mich los“ — das ist einer von vielen einfachen, aber sehr deutlichen Sätze in Sachen Selbstbehauptung, die Trainerin Sibylle Wanders ihren Schülern immer wieder vorsagt. Im Chor wiederholen 29 Drittklässler der St.-Hubertus-Grundschule den Satz und reißen sich dabei aus den Händen eines Mitschülers los. Die Partnerübung ist Teil des Anti-Konflikt-Trainings „Gewaltfrei Lernen“, an dem die 106 Schüler der Reuschenberger Grundschule in diesen Tagen teilnehmen. „Es geht bei Grundschülern darum, durch Übungen, die viel mit Bewegung zu tun haben, zu lernen, wie man Freunde findet, eine gute Klassengemeinschaft entsteht, Ausgrenzung oder Mobbing vermieden wird und wie die Schüler Konflikte lösen“, erklärt Diplom-Sportlehrerin und Kampfsport-Trainerin Sibylle Wanders.
Die 45-minütigen Einheiten, in denen die Kinder lernen, wie sie körperlichen Schikanen, Beleidigungen und Mobbing vorbeugen, bestehen aus Bewegungstheater, kurzen Rollenspielen und Reaktionsübungen. Die Kinder erfahren, wie sie Klassenkameraden ein- statt ausschließen, brenzlige Situationen meistern, etwa durch einprägsame und deutliche Stopp-Sätze, und sich gegenseitig wertschätzen. „Wenn ich beobachte, dass Kinder ausgegrenzt werden, baue ich eine Übung zur Wertschätzung ins Training ein“, erklärt die Trainerin. „Oliver, du bist ein Schatz — wertvoller als alle Autos in Neuss“, verkündet Wanders einem kleinen Drittklässler, der in der Kreismitte von 28 Augenpaaren angeschaut wird. Richtig wohl ist ihm bei der Lobeshymne noch nicht, aber bei dem Auto-Vergleich lächelt er.
Melanie Ueberacher, Schulleiterin an der St.-Hubertus-Grundschule
Im Rollenspiel erfahren Oliver und die anderen Drittklässler, wie es sich anfühlt, wenn sich ein Anführer und vier Mitläufer gegen einen einzelnen stellen und ihn ausgrenzen, und umgekehrt, wie gut es Schülern geht, wenn man sie mitspielen lässt. Die 29 Drittklässler sollen im Anschluss an das Training mit Klassenlehrerin Marion Balasch einen „Muschel-Vertrag gegen Ausgrenzung“ unterschreiben. „Wie eine Muschel sollt ihr euch anderen öffnen“, erklärt Wanders.
Den Verein „Gewaltfrei Lernen“ hat sie vor elf Jahren gegründet. Heute kümmern sich 22 Trainer, viele von ihnen Diplom-Sportlehrer, um die Anti-Konflikt-Trainings an Grund- und weiterführenden Schulen. Seit 2013 kamen bereits fünf Grundschulen in Neuss in den Genuss des Trainings, auch durch die finanzielle Unterstützung der Stiftung Kunst, Kultur und Soziales der Sparda-Bank West. „Das Projekt ist für uns eine Herzensangelegenheit“, sagt Filialleiter Stephan Pohl, der sich die Übungsstunden von Sibylle Wanders regelmäßig anschaut. Aus dem Gesamt-Jahresetat der Stiftung für das Projekt in NRW, der sich auf 50 000 Euro beläuft, wird die Grundschule mit 1000 unterstützt; Zuschüsse gibt auch der Förderverein. „Die Eltern zahlen lediglich fünf Euro und werden ebenfalls, genau wie die Lehrerinnen, in das ganzheitliche Projekt eingebunden“, sagt Schulleiterin Melanie Ueberacher.
Im zweiten Jahr nimmt ihre Schule an dem Training teil. „Die Kinder haben Lust auf das Projekt, die Eltern sind begeistert, weil sie viele Elemente des Trainings auch zuhause anwenden und das Klima zwischen Lehrerkollegium und OGS-Betreuern profitiert ebenfalls“, so die Schulleiterin. Viele Regeln, die Wanders im letzten Jahr beigebracht hat, seien bereits fest im Schulalltag verankert.