Mit dem Pferd durch die Provinz

Die Neusserin Stefanie Schnitzler ist mit ihrem Pferd zu Fuß fünf Monate lang quer durch Deutschland gewandert.

Neuss. Krebs — als Stefanie Schnitzler mit dieser Diagnose 2004 konfrontiert wird, beginnt sie nachzudenken: „Was will ich noch erleben, was will ich mit meinem Leben anfangen?“ Während sie im Krankenhaus liegt und überlegt, wiederholt sich Nacht für Nacht derselbe Traum. „Wenn ich erwachte, hatte ich den zarterdigen Geruch frischen Grases in der Nase und konnte die Wärme eines Pferdekörpers spüren, der mich eben noch über die Wiesen getragen hatte“, schreibt sie in ihrem Buch „Land und Lotte“. Auf dem Pferd quer durch Deutschland reiten — das soll es sein.

Drei Monate später stellt sich heraus, dass es sich bei dem vermuteten Krebs um eine Fehldiagnose handelte. Trotzdem ist sie jetzt fest entschlossen, ihren Traum in die Tat umzusetzen. Sie kündigt ihren Job als Dramaturgin und plant die Route. „Es waren eigentlich vier Dinge, die mich zu der Entscheidung bewogen haben: Ich wollte mehr in der Natur und mehr mit Tieren zusammen sein, ich wollte wissen, wie das Leben auf dem Land ist und ich wollte Geschichten erzählen.“

Als Kind lernte Schnitzler das Reiten, es dann aber für einige Jahre aus den Augen verloren. Erst im Alter von 30 Jahren setzt sie sich wieder auf ein Pferd. Sie macht sich auf die Suche nach einem Tier für die Reise und findet Lotte. „Eine sensible sechsjährige Stute, weiß mit braunen Punkten, Pippi Langstrumpfs ,kleinem Onkel’ nicht unähnlich“, schreibt die 43-Jährige in ihrem Buch. Und wie sensibel sie ist, sollte sich erst herausstellen: Lotte lässt sich nicht reiten. Von niemandem. Also wird aus dem geplanten Wanderreiten eine Wanderung auf sechs Beinen. Lotte trägt das Gepäck, Stefanie Schnitzler läuft nebenher.

„Mein Tagesziel während der Wanderung war, Menschen nach einer privaten Unterkunft zu fragen — schließlich wollte ich keine Geschichten über Hotelzimmer und Pensionen schreiben“, erzählt sie. Jeden Tag um 15 Uhr nimmt sie sich vor, Menschen daraufhin anzusprechen. Sie übernachtet in den nächsten fünf Monaten und 1350 Kilometern in ihrem Zelt, in Gartenhäuschen, Einliegerwohnungen und Ställen. Und schreibt ihre Geschichte auf — in Arztpraxen, Büros und Kinderzimmern.

Einige Geschichten sind ihr dabei besonders im Gedächtnis geblieben. Während sie bei einer Familie zu Gast ist, stirbt ein Angehöriger. Schnitzler bleibt länger, hilft bei den Beerdigungsvorbereitungen, unterstützt die Familie beim Schreiben der Trauerrede. „Wo ich konnte, habe ich geholfen“, sagt sie. „Das war ein weiterer Vorsatz: Ich wollte nicht nur um Hilfe bitten, sondern auch etwas zurückgeben.“

Auch der Besuch in ihrer Heimatregion bleibt der gebürtigen Neusserin im Gedächtnis. „Ich habe Menschen in Neu-Königshoven besucht, die mir alte Fotoalben gezeigt haben. Das, was sie verloren haben und wie sie entwurzelt wurden. Dieses Gefühl von Heimatlosigkeit trotz eigenem Haus war schon bedrückend.“

Lotte hat sie inzwischen nicht mehr: „Irgendwann habe ich dann doch eine junge Frau gefunden, die sie reiten konnte — und sie ihr dann geschenkt.“