Mobilität in Neuss Experten schnüren Paket gegen Verkehrchaos

Neuss. · Neuss ächzt unter zunehmendem Verkehr. Aber es gibt Ideen, die Straßen zu entlasten.

Immer mehr Produkte werden im Internet bestellt, das bedeutet immer mehr Lieferverkehr. 

Foto: dpa/Sina Schuldt

Wer zu Stoßzeiten in Neuss und dem Rhein-Kreis mit dem Auto unterwegs ist, braucht Geduld. Verstopfte Straßen, überfüllte Autobahnen, Schritttempo: Die Verkehrsinfrastruktur ist an ihre Grenzen gestoßen. Die Stadt arbeitet an einem Mobilitätskonzept. Erste Maßnahmen zur Mobilitätswende sollen im Klimaschutzprogramm Mitte 2020 vorgestellt werden. Der Arbeitskreis Logistik in der Mittelstands- und Wirtschaftsunion (MIT) der CDU im Rhein-Kreis hat in seinem Jahresbericht klargemacht, dass zum Gelingen der Mobilitätswende sowohl der Individual- als auch der Güterverkehr und alle Verkehrsträger in den Blick genommen werden müssen.

Einige Zahlen machen die Last deutlich, unter denen die Straßen ächzen. Vor zehn Jahren waren in Neuss noch etwas über 90 000 Fahrzeuge zugelassen, zuletzt waren es knapp 105 000 (Stichtag: 1. Januar 2019). Im Vergleich zu 2018 ist der Kfz-Bestand um 1,5 Prozent gestiegen. Das geht aus Zahlen der Statistikstelle im Amt für Wirtschaftsförderung hervor. Zuletzt kamen 683 Fahrzeuge auf 1000 Einwohner in Neuss, kreisweit waren es sogar 705. Das ist mehr als im NRW-Schnitt (663 Fahrzeuge je 1000 Einwohner). Hinzu kommen immer mehr Fahrten im Lieferverkehr.

Dort herrscht ein Dauer-Wachstum, von dem andere Branchen nur träumen. Um 3,8 Prozent legten die Paketsendungen im ersten Halbjahr 2019 zu. Das belegen Zahlen des Bundesverbands Paket und Expresslogistik (BIEK). Die Auswertung für das zweite Halbjahr liegt zwar noch nicht vor, dennoch war 2019 ein weiteres Rekordjahr mit vermutlich rund 3,6 Milliarden Sendungen, die über die deutschen Straßen rollten. Und genau das ist ein Knackpunkt.

Lastenfahrräder sollen auf „letzter Meile“ eingesetzt werden

So bequem das Shoppen vom Sofa aus sein mag, hat es Schattenseiten: Die Verkehrsinfrastruktur ist  überlastet. Und ein Ende des Wachstums in der Kurier-, Express- und Paketbranche (KEP) istnicht in Sicht. Der Neusser Thomas Klann ist Leiter des Arbeitskreises Logistik in der MIT und auf Bundesebene gefragter Experte. „Vor fünf bis sechs Jahren wurden pro Haushalt jährlich rund 20 Pakete geliefert, heute sind wir bei 50“, sagt er. Mit Blick auf die ausgelastete Verkehrsinfrastruktur und den Umweltschutz müssten dringend Maßnahmen erarbeitet und umgesetzt werden. Bis Ende 2020 soll ein Mobilitätskonzept 2.0 fertig sein.

Einige Dinge sind bereits auf den Weg gebracht. Im innerstädtischen Lieferverkehr sollen in Zukunft auf der „letzten Meile“ zum Kunden vor allem Lastenfahrräder zum Einsatz kommen. Dazu sollen sogenannte Mikro-Hubs eingerichtet werden, also Waren-Umschlagplätze. Die Industrie- und Handelskammer (IHK) Mittlerer Niederrhein hat eine Machbarkeitsstudie in Auftrag gegeben. Geht alles glatt, könnte es laut Wolfgang Baumeister, Leiter des Bereichs Verkehr und Infrastruktur bei der IHK, schon 2021 die ersten Mikro-Hubs in Neuss geben, geplant sind mehrere.

Thomas Klann rückt zudem den Individualverkehr in den Fokus. Sein Vorschlag: die Einrichtung eines Mobilitäts-Hubs. „Dabei handelt es sich um eine digitale Plattform, die Verkehrsteilnehmer und -träger verbindet“, erklärt er. Wer etwa am Bahnhof ankomme, könne über eine App bequem zwischen verschiedenen Verkehrsmitteln – vom ÖPNV über Car- und Rad-Sharing bis zum Taxi – zur Weiterfahrt wählen, inklusive voraussichtlicher Fahrtzeit und Kosten. „Wir müssen die Verkehrsmittel besser bündeln“, betont Klann. „Nur so schaffen wir eine Entlastung unserer Straßen.“