Narren stellen Neuss auf den Kopf
100 000 Besucher machten den Kappessonntagszug zu einem Spektakel. Hinter den Kulissen sorgte der aber auch für viel Arbeit.
Neuss. Zehn Minuten bevor es los geht, steht Jürgen Kinold noch seelenruhig auf der Kreuzung vor dem Rheinischen Landestheater. Über ein Headset hält er Kontakt zu Ralf Dienel. Die beiden leiten den Kappessonntagszug für den Neusser Karnevalsausschuss (KA). Rund 100 000 Besucher stehen schon an der Strecke. Auch Prinz Marco I. und Novesia Sabine I. fiebern einem ausgelassenen Kappessonntagszug entgegen. Was für die Meisten ein großer Spaß ist, bedeutet für Kinold eine Menge Arbeit. Ununterbrochen hält er Kontakt zu den sechs Blockleitern, die jeweils für einen festgelegten Teil des Zuges Verantwortung tragen. So wird die Arbeit der über 800 Ordnungskräfte koordiniert. Dienel fährt mit seinem Traktor vorne weg. Kinold ist für die Endkontrolle aller Fahrzeuge zuständig. Schon um 8.30 Uhr war er an der Wagenbauhalle, wo die Wagen in der festgelegten Reihenfolge aufgestellt wurden.
Erst um 10 Uhr hat Dienel zusammen mit Bürgermeister Reiner Breuer und Ordnungsamtsleiter Uwe Neumann endgültig entschieden, den Zug stattfinden zu lassen. Das befürchtete schlechte Wetter blieb aus. Zum Schluss kommt sogar mal kurz die Sonne raus. Das freut auch Kevin Petersen. Der 15-Jährige ist einer der Wagenengel. Seine Aufgabe: Neben einem der Bagagewagen mitlaufen und Zuschauer davor bewahren, im wahrsten Sinne des Wortes, unter die Räder zu kommen. „Das ist ganz lustig“, sagt Kevin. „Hierher kommt ganz Neuss. Ich habe eben alte Bekannte aus der Grundschule getroffen“, sagt er. Die meiste Zeit hat er nicht viel zu tun. Die Leute seien ganz vernünftig, sagt er. „Nur vor dem Amtsgericht wird es etwas spannender.“
Kajo Flüchten ist dankbar für die Arbeit der Wagenengel. „An einigen Stellen ist es sehr gedrängt. Ohne die Helfer neben den Rädern, wäre es da gefährlich“, sagt er. Flüchtens Traktor zieht den Wagen des Norfer Narrenclubs. „Ich fahre meiner zwölfjährigen Tochter zu Liebe mit, die hinten auf dem Wagen steht“, sagt Flüchten und beschleunigt seinen Traktor vorsichtig.
Ein paar Meter weiter kann Marlies Dvorak gar nicht genug bekommen vom Kappessonntag. Sie fährt auf dem Vorstandswagen der Blauen Funken mit. „Es ist ein irres Gefühl, wie sehr sich die Leute freuen“, sagt Dvorak, nimmt mit beiden Händen Bonbons aus der Auslage und schleudert die Kamelle in die Menge. Früher seien sie und ihr Mann eher Karnevalsmuffel gewesen, gesteht sie. Aber spätestens als sie zum ersten Mal auf dem Wagen mitgefahren ist, habe sie das Fieber gepackt.
Das ist bei Jacqueline Roden nicht anders. Die 52-Jährige zieht mit ihren „Neusser Cindys“ als Fußtruppe mit. „Unsere Männer sind Schützen“, sagt sie. Weil Frauen da nicht mitmachen dürfen, haben sie eben eine Karnevalsgruppe gegründet. „Jetzt müssen die Männer auch mal am Straßenrand stehen und uns unterstützten“, sagt sie, greift sich einige der 10 000 Popcorn-Tüten, die ihre zehn Mädels als Kamelle organisiert haben, und wirft sie in die Menge.
Dort sind die Popcorn-Tüten begehrt. Doch nicht alle Süßigkeiten werden aufgehoben. Vor allem kleine Bonbons bleiben oft liegen. Auch Konfetti und anderer Müll zeugt vom Karnevals-Trubel, wenn der Zug längst vorbei ist. Deshalb muss auch Thomas Schlößer heute arbeiten. Der Straßenreiniger der Neusser Abfall- und Wertstofflogistik (AWL) fegt Müll mit einem Besen in die Bürste einer der Kehrmaschinen. Acht Stück davon sind heute im Einsatz. Dazu vier Müllwagen und 40 Mann. Spaß macht das natürlich nicht. „Hauptsache man hat einen Job“, sagt Schlößer.