Neuss feiert familiär und herzlich

Eine Neu-Rheinländerin und gebürtige Fränkin schildert ihre Sicht auf den Rathaussturm.

Foto: Woitschützke

Neuss. Seit ich vor Kurzem aus Franken ins Rheinland gezogen bin, fürchte ich mich vor dieser Jahreszeit: dem Karneval! Heißt es nun Helau oder Helaaf, was ist ein Bützchen und ein Hoppediz? Liebe Rheinländer, für mich ist das ganz schön kompliziert. Aber das sollte nicht so bleiben. Als ich mich an Altweiber dann als Möhne verkleiden soll, um das Rathaus zu stürmen, bin ich erst einmal gänzlich verwirrt: „Was für eine Möwe?“ Google und ein rheinländisches Wörterbuch haben mich aufgeklärt. Da wir in Franken auch einiges vom Feiern verstehen, ist mir der Brauch auch nicht komplett fremd: nur dass es bei uns Fasching heißt und man sich als Drude verkleidet. Ein Kostüm habe ich. Also ab ins Rathaus.

Foto: Woitschützke

Herzlich empfangen werde ich dort schon einmal von der Neusser Rathausbesatzung und dem heutigen Opfer des Tages: dem stellvertretenden Bürgermeister Thomas Nickel. Der soll nämlich überwältigt, gefesselt und des Rathausschlüssels beraubt werden. Ganz so dramatisch läuft der Rathaussturm dann aber nicht ab. Ich habe vielmehr das Gefühl, Thomas Nickel ergibt sich gerne den Damen der Garde, als diese in das Zimmer des Bürgermeisters marschieren und ihm Ketten um den Hals legen. „Ich dachte ich könnte noch ein bisschen arbeiten“, scherzt Nickel und geht — sichtlich froh über den frühen Feierabend — mit. Als er Novesia Jutta I. auf der Bühne trifft, um ihr den Schlüssel zu übergeben, freut er sich — wo bleibt denn da die Angst vor der Übernahme der Frauen?

Nach der Schlüsselübergabe geht das Programm auf dem Markt richtig los. Die Neusser singen unter anderem zu Dirk Elfgens Musik mit. Dabei fällt mir auf, dass schon der ein oder andere die Hälfte seines Altbiers verschüttet. „So bleiben die hier also halbwegs nüchtern“, denke ich. „Ein so kleines Bier und dann die Hälfte verschütten.“ Schnell werde ich aber eines besseren belehrt, als ich zum Schnapstrinken aufgefordert werde. Trinkfest, diese Neusser.

Es wird gelacht, getanzt, geschunkelt und immer wieder höre ich: „Ons Nüss Helau!“ Gut, ich gebe zu, das habe ich erst nicht verstanden und muss die Neusser fragen, was denn da gerufen wird und wie man das schreibt. Hilfsbereit, wie die Neusser Damen an Altweiber sind, wird mir prompt geholfen. „Oooonnssss Nüss Helaauuuuu!“ rufen drei Frauen mit Glitzerhut mir zu.

Für die Neusser ist ihr Karnevalsstart vor dem Rathaus ein Höhepunkt, das merke ich schnell, als ich mit ein paar waschechten Neussern ins Gespräch komme. Die 20-jährige Nina erzählt, dass sie seit 15 Jahren hier feiert, einfach weil sie alle von klein auf kennt. Prompt fällt ihr eine alte Bekannte um den Hals. Auch eine Seniorin antwortet mir auf meine, zugegeben etwas freche, Frage warum sie denn nicht in Düsseldorf feiert: „Na, weil ich Neusserin bin.“

Und genau das macht den Neusser Karneval für mich auch aus: klein, familiär, herzlich. So schunkeln Senioren mit Teenagern zur Musik und singen mit. Ganz wichtig dabei: das richtige alkoholische Getränk. Meinen Urlaub habe ich für nächstes Jahr auf alle Fälle schon eingetragen — denn die Rheinländer fangen sehr früh am Morgen zu trinken an, das ist mir nach diesem Karnevalsstart bewusst.