Tragischer Fall im Neusser „Lukas“ Nach tödlicher Zangengeburt – Arzt verteidigt Entscheidung

Neuss/Düsseldorf · Im November 2021 starb ein Säugling im Neusser Lukaskrankenhaus kurz nach einer Zangengeburt. Seit Freitag muss sich der Arzt, der damals im Dienst war, vor Gericht verantworten. Wie äußert er sich zu dem tragischen Vorfall?

Der Vorfall ereignete sich 2021 im Neusser Lukaskrankenhaus.

Foto: Melanie Zanin (MZ)

Vor der präzisen sachlichen Aufklärung einer hochemotionalen Tragödie steht seit Freitag das Düsseldorfer Landgericht. Im Neusser Lukaskrankenhaus hatte ein kleiner Junge im November 2021 seine Geburt nur um wenige Stunden überlebt. Die Eltern konnten ihren Sohn nur noch taufen lassen, später seinen leblosen Körper waschen, ihn ankleiden und sich von ihm verabschieden. Durch Probleme während der Geburt hatte das Baby ein Schädel-Hirn-Trauma erlitten, ein Hirnödem sowie Knochenbrüche am Kopf.

Auf der Anklagebank sitzt deshalb jetzt ein 59 Jahre alter Oberarzt der Frauenheilkunde, der damals als Vertretungsarzt in Neuss tätig war – und der laut Anklage ohne Einwilligung der Mutter eine misslungene Zangengeburt versucht hatte, die letztlich zum tragischen Tod des Kindes geführt habe. Ihm wird Körperverletzung mit Todesfolge vorgeworfen, doch ein ärztliches Versagen sieht der Mediziner bei sich nicht.

Mutter widerspricht Arzt
im Zeugenstand

Der Angeklagte mit dünnem Pferdeschwanz und kleiner Metallbrille spricht leise, überlegt und mit sanfter Stimme: „Ich liebe meinen Beruf und nehme ihn sehr ernst“, sagte er. Seit 34 Jahren als Arzt tätig, habe er laut seinem Anwalt über 10.000 Geburten bewältigt, dabei „über 2000 Mal die Zange erfolgreich zum Einsatz“ gebracht – ohne irgendwelche schlimmen Folgen. „Seine Entscheidung“, auch damals in Neuss eine Geburtszange einzusetzen, hielt er „für unumstößlich und würde sie heute wieder so treffen“, so der Verteidiger weiter. Bei der jetzt 31-jährigen Mutter wäre nämlich ein Kaiserschnitt eine „absolut falsche Entscheidung gewesen“, da der Geburtsvorgang bereits begonnen, der Kopf des Kindes schon gut zu sehen und zu tasten war. Erst, als der Arzt mehrfach mit der Zange am Kopf des Kindes abgerutscht war, die Mutter zugleich „in Panik“ geraten sei, habe er wegen eines „Geburtsstillstandes“ dann doch den Kaiserschnitt gewählt. Die schweren, letztlich tödlichen Kopfverletzungen des Babys resultierten „womöglich“ aus einem Vorschaden durch die missglückte Zangengeburt und dem folgenden Kaiserschnitt. „Mit Sicherheit“ habe der Angeklagte nach eigenen Worten die Mutter aber vorher über den Zangen-Einsatz informiert, doch „was sie in ihrer Panik noch wahrgenommen hat“, wisse er nicht.

Dem hat die Mutter im Zeugenstand aber widersprochen. Ruhig, konzentriert und ohne Vorwurf in ihrer klaren Stimme beschrieb sie die Tage vor der überaus schmerzhaften Geburt „unseres Sohnes“. Demnach habe der Angeklagte nach einem vielstündigen Auf und Ab zwischen „extrem schlimmen Schmerzen“ und deren Nachlassen zunächst einen Kaiserschnitt abgelehnt, habe plötzlich das Mediziner-Team dann nach einer „Zange“ gefragt – und sofort losgelegt. Die Mutter: „Ich geriet in Panik und habe gesagt, dass ich das nicht wollte!“ Und mit der Zange habe der Arzt die Schmerzen der Frau sogar verschlimmert. „Ich hatte immer gehofft, dass unser Sohn endlich doch noch rauskommt, habe geschrien und geweint vor lauter Schmerzen!“ Doch dann blieben ihr und ihrem Mann nach dem Kaiserschnitt nur ganz wenige Sekunden, um ihren frisch geborenen Jungen anzusehen – bis es Stunden später plötzlich hieß, dem Kind ginge es „nicht gut, man könne nichts mehr machen“. Der junge Vater sei daraufhin zusammengebrochen, auch die 31-Jährige sei unter Tränen weggesackt.

Erst eine Obduktion des Babys brachte Klarheit über die Todesursache – und den Vertretungsarzt auf die Anklagebank. Das Rheinland-Klinikum, zu dem das Neusser Lukaskrankenhaus gehört, erstatte nach eigenen Angaben selbst Anzeige gegen den Mann.

An den nächsten Prozesstagen sollen auch medizinische Gutachter zu Wort kommen, um das Vorgehen des Angeklagten zu bewerten. Ein Urteil des Landgerichts soll dann Anfang März folgen.