Neusser erlebt Idomeni-Räumung

Lukas Stelzner war als Helfer in einer Schule in dem Flüchtlingslager in Griechenland aktiv.

Foto: Borderfree

Neuss/Idomeni. Journalisten waren nicht zugelassen, als gestern früh um sechs Uhr — von der Polizei abgeschirmt — die Räumung des Flüchtlingslagers in Idomeni begann. Lukas Stelzner hatte das angesichts schärfer werdender Kontrollen in den Tagen zuvor geahnt. Um nicht ausgesperrt zu bleiben, mogelte sich der Neusser schon am Montag um 4 Uhr früh, als nur wenig Polizei auf dem Posten war, ins Camp an der griechisch-mazedonischen Grenze und harrte dort die Nacht vor der Räumung aus. Er wollte das miterleben — und war dann doch unter den Ersten, die diesen Elendsort verließen.

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Lukas Stelzner

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„Die meisten Helfer sind raus. Scheint das erste große Ziel der Beamten gewesen zu sein“, berichtete er am Mittag in die Heimat. Zwischenfälle hatte er weder beobachtet, noch war ihm etwas davon zu Ohren gekommen. „Wir sind aber mit einigen vor Ort weiter in Kontakt“, sagt Stelzner.

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Die Bilder aus dem Flüchtlingscamp in Idomeni, wo Tausende in der Hoffnung ausharrten, über Mazedonien weiter nach Mitteleuropa reisen zu dürfen, erschütterten in den vergangenen Monaten viele Menschen. Lukas Stelzner aber beließ es nicht dabei. Der Erzieher, der seinen Job zur Jahreswende gekündigt hatte, um reisen zu können, blies alle Pläne ab. Statt mit dem Fahrrad der europäischen Küstenlinie bis nach Griechenland zu folgen, strampelte er vom 16. April an direkt auf sein neues Ziel Idomeni los. Er wollte vor Ort helfen. Seit dem 7. Mai konnte er das auch.

Die Nachricht von der Räumung hatte die Helfer schon am Montag erreicht, viele Flüchtlinge aber nicht. „Die haben uns hier Löcher in den Bauch gefragt“, sagt Stelzner, der in einer der drei Schulen im Camp mitgearbeitet hat. Auf den Auszug gestern konnte sich das Schulteam — die meisten sind Helfer der Schweizer Organisation „Borderfree Train Station“ — vorbereiten. Sie packten einfach. Auf das Abschiednehmen nicht. „Wir dachten, man könne sich darauf mental einstellen, aber das erwies sich als unmöglich“, sagt Stelzner. „Wir sind gezwungen, die Kids zurückzulassen, und es geht dem Team damit echt beschissen.“

Für Stelzner war es ein Glück, dass er gleich am Tag eins nach seiner Ankunft bei einem Treffen der Freiwilligen Anschluss an die Gruppe von „Borderfree“ fand, die händeringend Helfer für die dritte Schule brauchte, die sie im Camp aufziehen wollte. Denn er bekam sofort eine Aufgabe, sollte sich um die 12- bis 16-Jährigen kümmern, die Englisch lernen wollten. Aber „Borderfree“ bot dem Neuankömmling mit Zwei-Mann-Zelt auch ein Dach über dem Kopf. „Das hat mir ein bisschen meiner Energie erhalten“, sagt er.

Wie viel Energie ihn der Einsatz gekostet hat, zeigt ihm auch der Gang auf die Waage: Zehn Kilo hat er weniger auf den Rippen, als bei seiner Abfahrt in Neuss. Grund dafür ist auch die Reise des Radfahrers: 2000 Kilometer in 21 Tagen. Weil er in Kroatien in eine Schlechtwetterfront kam, mogelte der Neusser und ließ sich und sein Rad von Autofahrern mitnehmen. „Ich war sechs Tage nicht aus nassen Klamotten herausgekommen“, erklärt er den Grund dafür.

Die Situation im Lager empfand er schlimmer, als er sich das vorher vorgestellt hatte. Reibereien zwischen den Flüchtlingen, die sich gewaltsam entluden, erlebte er ebenso wie Tränengaseinsätze der Polizei, die er „völlig unangemessen“ fand. Mit der Räumung könnte er nun seine „Mission“ für beendet erklären und mit dem Rest seiner Ersparnisse die geplante Europareise machen. Aber genau das tut er nicht. „Wir ziehen ins nächste Camp.“